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Rummelplatz

Werner Bräunig

Vierzig Jahre lebte Moses in der Wüste, vierzig Jahre existierte ein Staat namens DDR, mehr als vierzig Jahre mussten vergehen, bis Werner Bräunigs (1934 - 1976) ostdeutscher Bergarbeiter-Roman "Rummelplatz" erscheinen konnte. Warum? Auf dem 11. Plenum der SED (1965) wurde ein Vorabdruck des Romans, der kurz zuvor in der Zeitschrift "neue deutsche literatur" erschienen war, so vernichtend kritisiert, dass sich später kein Verlag mehr fand, der den Druck des ganzen Werkes übernommen hätte. "Rummelplatz" ist also ein Roman, welcher der Zensur des real-existierenden Sozialismus zum Opfer gefallen ist. Das wertet ihn heute auf, kann man meinen. Vielleicht werten die Ereignisse um den Roman die DDR aber nur weiter ab - und sonst nichts, denn Werner Bräunig, zweifellos mit schriftstellerischem Talent ausgestattet, davon zeugt allein der erste Absatz seines Werkes, in welchem der durch Ostdeutschland wandernde Wind auf verschiedenen markanten Etappen durchaus genial dargestellt wird, ist ja kein ausgesprochener Gegner der DDR gewesen, sondern wohl einer derjenigen, die sich einen menschlicheren Sozialismus gewünscht haben, ohne mit etwas Hellsicht zu erkennen, dass ein wahrhaft menschliches Gesellschaftssystem eindeutig außerhalb sozialistischer Reichweite lag.

Die Wismut-AG, Förderer von Uran für die atomaren Vorhaben der Sowjetunion und schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen, bildet nebst einer Papierfabrik den thematischen Rahmen von Bräunigs Roman, der eben ein echt "proletarischer" ist. Die handelnden Figuren sind zumeist Berg- und Parteiarbeiter, auch gibt es Erzählarme, die in den westlichen Teil Deutschlands reichen. Dort sitzen natürlich die bösen Kapitalisten, denen einst die Papierfabrik gehört hat und deren geldbewehrte Stimme noch immer bis zu ihr ins Erzgebirge dringt. Bis eines Tages die leitenden Angestellten konzertiert in den Westen flüchten, obwohl sie doch den Kommunismus aufbauen wollten, sollten, mussten - was auch immer. Das sind eben die Anfangsschwierigkeiten am Ende eines knapp tausendjährigen Reiches. Vom kapitalistischen Feind lässt man sich aber keinen reinwürgen, schon gar nicht auf diese Weise, man macht weiter, mindestens doppelt so gut, so schnell - so Bräunig, so die kommunistische Propaganda. Na klar!

Bräunigs Roman endet mit den Ereignissen des 17. Juni 1953. Den Unmut über die Normerhöhungen schildert er, aber schließlich ist es für ihn doch ausgemacht, dass der Volksaufstand von faschistischen Schurken, die in der Sowjetzone überwintert haben, inszeniert worden ist. Fein zwischen die Beschreibung der aufbrausenden Volksmassen gewebt die alten Lieder der Nazis. Und zum Schluss dann noch dieser altehrwürdige Genosse, der die Welt nun gar nicht mehr versteht (Arbeiter streiken ... gegen sich selbst?!), gelyncht - oder wie?

Wäre "Rummelplatz" zu DDR-Zeiten erschienen, hätte wohl der ein oder andere Leser gesagt: Oh, ah, immerhin. Hier ein Fitzelchen, dort. Das gefällt mir. Kritik am Bestehenden, eigene Meinung. Nichts durchweg orthodoxes, sondern manchmal ganz schön mit dem Finger drauf, sogar hart und doch nicht zu. Aber er ist damals nicht erschienen und heute ist es zu spät: So ungefähr vierzig Jahre.

Diese Rezension schrieb:
Arne-Wigand Baganz (2008-11-16)

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