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Thomas Münzer als Theologe der Revolution

Ernst Bloch

Um den evangelischen Theologen und Revolutionär Thomas Müntzer (ca. 1489 - 1525) ist es seit dem Untergang der DDR wieder dunkel geworden. Damals verehrte man Müntzer als Vorreiter des Kommunismus, verzierte seit 1975 den 5-Mark-Schein mit seinem Konterfei, ließ ihm zu Ehren in den 1980ern ein monumentales Bauernkriegspanorama anfertigen, das Andenken an ihn weithin leuchten. Heute ist Müntzer wieder zu einer Lokalangelegenheit Mühlhausens, wo er schließlich hingerichtet worden, herabgesunken. Abermals triumphiert der auf weltlicher Ebene scheinbar siegreiche Kontrahent Luther, aber wer weiss schon, dass selbst an diesem als von seinen selbsternannten Fortsetzern so fest dargestellten Klotz des Glaubens letztlich die Werkzweifel beharrlich rüttelten? ("Jetzt", so klagte Luther, "sind die Leute mit sieben Teufeln besessen, sie sind geiziger, listiger, vorteilischer, unbarmherziger, unzüchtiger, frecher und ärger denn unter dem Papsttum.", Ebd. S.155.). So verwundert es nicht, dass auch die hier zu besprechende Schrift Ernst Blochs, erstmalig erschienen im Jahr 1921, derzeit nicht mehr gedruckt wird. Doch dies ist kein Hinderungsgrund, mit der sog. Rezension fortzufahren - im Gegenteil: Gerade die tiefgehenden Schriften vergangener Zeiten, die kein kapitalistisches Verwertungsinteresse mehr auf sich ziehen können, verlangen in dieser geistig so flachen Epoche immer dringlicher unsere Aufmerksamkeit, denn wo die Kinder verderbt sind, wendet man sich den in ihren Schriften jung gebliebenen Verschiedenen zu.

Fürwahr: Derart verschroben wie Ernst Bloch in seinem Buche über Thomas Müntzer, wissen nur wenige Autoren ihren Gegenstand zu fassen. Und doch: Erst, wo das Wort auf zuvor nicht geschaute Bahnen gelenkt, ist dem Denken ein Ort bereitet, an dem es wahrhaft stattfinden kann.

Und so folgt der Leser Blochs geistiger Fahrt, wie sie in Müntzers Leben dringt und auszugsweise dessen Schriften und Reden aus den Tiefen des Vergessens hervorarbeitet. Müntzers frühe Jahre sind nur bruchstückhaft überliefert, so dass sich auch Bloch gelegentlich dazu verleiten lässt, übermäßig zu interpretieren ("Er wurde still, schloß sich in sich selber. Nichts nahm er von 'anderen' an, doch war er bereit genug, mit ihnen zu leiden.", Ebd. S.16.).

Die Frage ist: Wer war nun dieser Müntzer? Ein theologischer Aufrührer in der Zeit des Bauernkrieges, jemand, der wieder Fluss in den erstarrten, gerade auch durch Luther auf die Schrift fixierten Glauben bringen wollte, einer, der die Herrschenden scharf anfuhr und den Armen das Wort sprach:

"Die Herren machen das selber, daß ihnen der arme Mann feyndt wird. Die Ursache des Aufruhrs wollen sie nicht wegtun. Wie kann es die Länge gut werden? So ich das sage, muß ich aufrührisch sein! Wohlhin!"

Begabt also im Wort - ein Poet, ein zum Höchsten, zu Gott Aufbrechender, seinen Haufen nach sich ziehender. Und - was uns nur zu natürlich scheint - : Ein wie alle echten Poeten am Leben Scheiternder, sich selbst für seine Kunst Opfernder. So sagt auch der über Müntzer spekulativ meditierende Bloch bereits in der Einleitung des Buches:

"Münzer brach am jähesten ab und hat doch das Weiteste gewollt." (Ebd. S.9.)

Gewollt, was gewollt?: Die Erneuerung des Christentums, soziale Gerechtigkeit, das Tausendjährige Reich, also die Einlösung der Offenbarung, wie sie bei Johannes geschrieben steht.

Erneuerung dieses Christentums, dessen Geschichte Bloch in wenigen Zügen kräftig nachzeichnet, wie es sich vom zarten Kinde zum wüsten Moloch auswuchs:

"Die Jünger richteten sich weder dauernd ein, noch war es ihnen erlaubt, solchermaßen zu verweilen. Sehr rasch wurde der Tag erwartet, an dem von dem alten Druck und Bau nicht ein Stein mehr übrigbleiben sollte. Die kleine Zahl der ersten Christen, die Strenge, mit der auf Reinheit bestanden werden konnte, verpflichtete jeden der Gemeinde, sich mindestens berufen zu fühlen und eben zu einer Mühe, die sich in nichts mehr mit irdischer Sorge mengte." (Ebd. S.172.)

Aber stets zieht es die Menschen zu Niederem, zu einem bequemlichen Leben auf Kosten der Nächsten, Übernächsten, des Gebäums und Getiers... "Welt will betrogen sein" gellt es aus den Kehlen all derer, die es sich so recht einzurichten wissen. Ja, es gibt kein Entrinnen denn den Tod, auch wenn ein Müntzer "das Weiteste" gewollt:

"Dran, dran, dieweil das Feuer heiß ist. Lasset euer Schwert nit kalt werden, lasset nit verlähmen! Schmiedet Pinkepank auf dem Ambos Nimrod, werfet ihnen den Turm zu Boden! Es ist nit möglich, dieweil sie leben, daß ihr der menschlichen Furcht solltet leer werden. Man kann euch von Gotte nit sagen, dieweil sie über euch regieren. Dran, dran, dieweil ihr Tag habt. Gott gehet euch vor, folget, folget!" ("Manifest an die Mansfeldischen Bergknappen")

Diesem vergeblichen Eifer nachzuspüren, ermöglicht uns Bloch mit seiner Schrift.

(Ernst Bloch - Thomas Münzer als Theologe der Befreiung. Frankfurt am Main, 1962.)

Diese Rezension schrieb:
Arne-Wigand Baganz (2007-02-23)

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