Ein Mann mit Eigenschaften: Petrowitsch - der Anti-Held in Wladimir
Makanins Roman "Underground oder Ein Held unserer Zeit" (1998) -
ist Schriftsteller, sagt man. Publiziert hat er noch nie, früher aber sogar
geschrieben und seine Manuskripte irgendwo eingereicht, wo man sie gar
nicht las oder las und ablehnte. (Staub drauf). Das war noch in der
Sowjetunion unter Leonid Breschnew, der auch heute genau wie Papst Johannes
Paul II. vielen als zittriger Greis auf höchstem Posten in Erinnerung ist.
Solche wie Petrowitsch gab es damals viele, man fasste und fasst sie unter
den Begriff UGler, Untergrundler. Im Zuge der Perestroika durften und
konnten die Petrowitschs endlich legal gedruckt werden, nicht mehr nur in
heimlich produzierten und ebenso weitergereichten Samisdats. (Gegen die
Masse). Die Geschmähten und Unterdrückten von Gestern wurden die Gefeierten
und Gedruckten von Heute, waren plötzlich groß in Mode - so, wie auch die
"volkseigenen" Verlage in der DDR kurz nach der Wende in den
wenigen ihnen verbleibenden Monaten 40 Jahre geistiger Kastration
wiedergutmachen wollten und hastig ihre viel zu späten Solschenizyns
herausbrachten. (Wer liest sie?). An Makanins Petrowitsch geht diese Mode
vorbei. Der ist UGler und der bleibt es. Mit Gelegenheitsjobs, vornehmlich
dem "Hüten" von (Plattenbau)Wohnungen, sichert sich Petrowitsch
seine bescheidene Existenz. Dem Unsinn des Schriftstellertums ist er längst
auf die Schliche gekommen:
Zitat: "Es hatte keinen Wert, die Manuskripte irgendwo einzureichen, weder dieses noch andere. Jeder Mensch erkennt eines Tages, daß Werturteile als Formen der Anerkennung sinnlos sind. Die Welt der Werturteile hatte aufgehört zu existieren. Es war wie ein Aufklaren. Wie eine Stunde des Jubels."
Und so kann es Petrowitsch unterbleiben lassen, Manuskripte einzureichen
und überhaupt erst zu schreiben. Was aber macht ein russischer
Schriftsteller, wenn er nicht mehr schreibt? Die Antwort ist banal: Er
schreibt einfach nicht mehr, säuft aber trotzdem. Natürlich Wodka, denn er
ist ja Russe. Bei Makanin wird häufig nach ein paar Gramm Wodka gesucht,
gesoffen, besoffen diskutiert - und viele Seiten des Romans lesen sich
(möglicherweise) am flüssigsten, wenn man auch besoffen ist. Dann nämlich
sind alle auf dem selben Plateau. (Gebt Euch die Hände!)
Anderes Thema.
Was geschieht, wenn ein Staatssystem zusammenbricht und durch ein neues
ersetzt wird? Dann gibt es, so die Metapher, die Makanin gern gebraucht,
alten Wein in neuen Schläuchen. (Alte Nazis in der Bundesrepublik). Konkret
heißt das in "Underground", dass die privilegierte
Sowjet-Nomenklatura im Wirbel der Veränderungen stürzt, tief stürzt, einige
aus ihr schlagen sicherlich auch irgendwo tödlich auf - unverdient? (Kein
Kommentar). Aber die Neuen an der Macht haben ja gar keine Erfahrung, so
dass die untereinander organisierten Alten bald wieder aus ihren Löchern
hervorkriechen, um ihnen - zu helfen. Natürlich gibt es die armen
Verblendeten, die weiterhin mit ihren blutroten Fahnen über den nur im
Namen roten Platz marschieren, aber so darf man sich in der neuen Zeit
nicht mehr zeigen, auch wenn es einem aus dem Herzen spricht... Wer gut für
sich und die seinen sorgen möchte, passt sich an. Das geht schon. (Ganz
gut).
Makanins Roman ist einer der wenigen, welche die turbulente
Perestroika-Zeit thematisieren und damit einen
künstlerisch-menschlichlichen Blick auf sie ermöglichen. Schon deswegen ist
"Underground" lesenswert, wenn auch dem Rezensenten 100 bis 200
Seiten tilgbar erscheinen. Klar, die Bilanz ist negativ - wie schon in
Wiktor Nekrassows "Eine traurige Geschichte" (in Deutschland
veröffentlicht unter "Die drei Musketiere aus Leningrad"), die in
den 1970er Jahren spielt und von der Emigration russischer Intellektueller
handelt. Ihre Kunst opferten die Musketiere dem Kommerz. Was solls? Lieber
Geld in der Tasche, als sich im Kampf um Anerkennung zu prostituieren:
Nur bitterer Überdruss
Ist unser Leben; und ein Dreck die Welt.
Sei still.
--- G. Leopardi