"Meine Universitäten", der letzte Band Gorkis autobiographischer
Romantrilogie, erschien erstmals 1922. Der Ort der Handlung ist zunächst
Kasan, eine tartarische Stadt an der Wolga, in die Gorki im Jahre 1884
zieht, um zu studieren. Allerdings muss er recht bald einsehen, dass daraus
nichts werden kann, und so wird ihm das Leben selbst zur Universität, er
lernt durch das genaue Studium der Menschen - und natürlich aus den
Büchern, die ihn ständig begleiten, die seine Obsession sind. Gorki ist
Gelegenheitsarbeiter im Kasaner Hafen, wird Hausknecht und Gärtner, später
verdingt er sich als Bäcker. Die Bäckerei, die sich bald mehr der
Aufklärung als dem Brötchenbacken verschrieben hat, gehört Derenkow:
"Derenkow [...] besaß die beste Bibliothek verbotener oder seltener
Bücher in der Stadt; sie wurde von den Studenten zahlreicher Kasaner
Hochschulen und allerlei anderen revolutionär gesinnten Leuten
benutzt."
Es ist eine Zeit, in der sich die Obrigkeit noch fürchten muss, dass das
Volk mit Gedanken in Berührung kommt, ja, sogar selber denkt. Heute, da die
Mehrheit der Menschen unseres Kulturkreises alltäglich stumpfsinnig vor dem
Fernseher dahinvegetiert, ist soetwas wie ein Gedanke bald unvorstellbar.
Alle sind in ihrer Lähmung gefangen.
In Kasan taucht auch ein verbotenes Buch auf: "In der Stadt ging ein aufregendes Buch von Hand zu Hand; man las es
und stritt sich darüber" - Gorki nimmt an einer konspirativen Lesung, die in einem verdunkelten,
leerstehenden Haus stattfindet, teil.
Gorkis Einsamkeit wächst, er ist es mittlerweile gewohnt, von seinen
Mitmenschen verletzende Sätze wie "Man fühlt sich mit dir nicht wohl" zu hören. Das Leben hat er nun schon so lange studiert - aber was ist dabei
herausgekommen? Natürlich hört er immer wieder diese und jene Weisheit, die
er besonderen Menschen, zu denen er aufblickt und deren Nähe er sucht,
abringt: "Je weniger der Mensch benötigt, desto glücklicher ist er, je mehr
Wünsche er hat, desto weniger Freiheit hat er auch." - nur ändert ein Spruch noch lange nicht die Wirklichkeit.
Gorki wird immer melancholischer, er ist überarbeitet, kann seinen Platz im
Leben nicht finden. Jeder weiss doch, dass mit dem Menschen etwas
grundsätzlich danebenläuft, aber niemand ändert es: "Oft genug sah ich, daß die Menschen barmherzig und liebevoll nur in
ihren Reden waren, während sie sich in ihren Handlungen, ohne es zu merken,
der allgemeinen Ordnung des Lebens fügten."
Und so hängt jeder für sich im System, eine zeitweilige Änderung der
Wirklichkeit bietet nur der Rausch - Saufen, Hurerei, Gewalt, religiöser
Wahnsinn.
"Wieviele von den Menschen, die ich gekannt habe, sind freiwillig aus
dem Leben geschieden!" - so auch der Seminarist Milowskij, der fünf Bände Erzählungen verfasste,
bevor er für immer fortging.
Eines Tages durchschießt sich Gorki mit einem Trommelrevolver statt des
Herzens seine Lunge. Nach einem Monat nimmt er seine Arbeit wieder auf -
mit dem Gefühl, sich "entsetzlich blamiert zu haben" ---
Alles geht, geht und geht weiter.
Mit seinen autobiographischen Romanen wollte sich Gorki selbst - anders als
so viele andere - kein Denkmal setzen. Ihm ging es darum, aufzuzeigen,
woher er gekommen ist, welche Sorgen und Schwächen ihn plagten, warum aus
ihm dieser Schriftsteller werden musste. Ein Unterfangen, das nur mit größter
Ehrlichkeit in der Schilderung überzeugen kann. Gorki überzeugt.