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Die Mutter

Maxim Gorki

Irgendwo im vorrevolutionären, also zaristischen Russland bekehren sich die einfachen, unterdrückten Leute zur Religion des Kommunismus. Einer nach dem anderen erwacht - so auch die Mutter, Gorkis positive Vorzeigeheldin: "Mein ganzes Leben lang habe ich immer nur an eins gedacht, wie ich um den Tag herumkommen, wie ihn unauffällig verbringen kann, damit mir niemand zu nahe tritt! Jetzt dagegen denke ich an alle". Ein besseres Leben ist das Ziel. Dafür werden Flugblätter gedruckt, Streiks und eine Mai-Demonstrantion organisiert, nächtliche, geheime Diskussionsrunden veranstaltet. Das Volk soll aufgerüttelt werden - genau wie durch die Lektüre des Buches "Die Mutter" (1906/07). Das Volk (oder nur die "Sozialisten" in ihm) beginnt sich zu fragen, was daran Gutes sei, "wenn man heute nichts tut als arbeiten und essen, und morgen wieder arbeitet und ißt. Daneben werden dann Kinder in die Welt gesetzt, anfangs freut man sich über sie, sobald sie aber auch mehr essen wollen, wird man wütend und schimpft: 'Ihr Freßsäcke, wachst schneller, ihr müßt arbeiten!'". Der Staat erzittert vor all diesem revolutionären Treiben, re(a)giert mit einem engmaschigen Spitzelsystem, straft durch Misshandlungen, Gefangenschaft, Verbannung, verbietet revolutionäre Schriften. Aber die Menschen bei Gorki lassen sich nicht brechen, zielstrebig wimmeln sie dem Kommunismus entgegen, auch wenn sie selbst dabei sterben müssen. Sie sind zu jedem Opfer bereit, haben nichts zu verlieren.

"Die Mutter" ist in einer einfachen Sprache geschrieben, die Aussagen in ihr wiederholen sich endlos. Gemalt wird in Rot und Weiß. Es gibt nur die Guten und die Bösen, keine Abstufungen. Die Figuren sind platt. Sie kämpfen für oder gegen die Revolution. Ein Leben aber haben sie nicht. Alles ist sachlich, vernünftig - herzlos. So sagt der Sohn auch der Mutter: "Ich dachte, Du würdest Dich niemals mit uns [den Revolutionären] aussöhnen, nie unsere Gedanken Dir zu eigen machen, sondern nur schweigend dulden, wie Du Dein ganzes Leben lang geduldet hast. Das war schwer!". "Die Mutter" hat schon früh vorweg genommen, was später die gesamte staats-sozialistische Literatur ausmachen sollte: "Der sowjetische Realismus [...] fordert von den Künstlern die wahrheitsgetreue, historisch-konkrete Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung. Dabei sollen Wahrhaftigkeit und historische Konkretheit der künstlerischen Darstellung der Wirklichkeit Hand in Hand mit der Aufgabe der ideologischer Umformung und Erziehung der Werktätigen im Geiste des Sozialismus fortschreiten". Gorkis "Die Mutter" erkor man zum Muster, zur Blaupause dieses "Realismus". Literatur sollte, musste Propaganda sein, Pessimismus wurde nicht geduldet - deswegen die vielen positiven Helden, die dem Leser als gutes Beispiel dienen sollen.
Seinen eigenen Pessimisus hat Gorki (er wollte sich einst das Leben nehmen...) nur durch den neuen Glauben überwinden können. Der Kommunismus als Erlösungsreligion. Da wundert es nicht, dass Gorki die revolutionäre Bewegung in die Nähe der (frühen) Christen rückt: "Christus, unser Herr, wäre nicht, wenn nicht Menschen zu seinem Ruhm in den Tod gegangen wären...". Für solche Zeilen wurde Gorki freilich ausgeschimpft - besonders auch vom Oberrevolutionär Lenin. Ein anderes Mal heisst es: "Das ist ja, als würde den Menschen ein neuer Gott geboren! Alles - für alle, alle - für alles".

Wenn Gorki über die Mutter schreibt: "Bisweilen wuchs das Bild des [revolutionären] Sohnes vor ihren Augen bis zur Größe eines Märchenhelden empor", so steckt darin jede Menge Wahrheit. Mit seinen propagandistischen Absichten kann "Die Mutter" nur ein Märchenbuch sein - so viel guter, sozialer Wille auch dahinter stecken mag. Was aus der Revolution der Bolschewiki geworden ist, dürfte jedem bekannt sein. Es ähnelt sehr der vorrevolutionären Situation, die Gorki in "Die Mutter" geschildert hat.

Diese Rezension schrieb:
Arne-Wigand Baganz (2005-08-02)

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