Hier ist "Einfried", das Sanatorium! - so beginnt Thomas Manns 1903 verfasste Novelle "Tristan" und
damit ist bereits geklärt, wo sich die der Einleitung folgende Handlung
abspielen wird. Wer handelt, ist ebensoschnell festgestellt: Der
Protagonist ist Detlev Spinell, ein von vielen schräg angesehener
weltfremder Dichter, der im Sanatorium nur wegen der ihn dort
inspirierenden Stimmungen Quartier bezogen hat. Damit es nicht gar so
langweilig bleibt, wie Mann anfangs schreibt, verguckt sich Spinell eher
beiläufig in eine Dame mit dem unschönen Namen Klöterjahn. Sie hält sich im
Sanatorium als Patientin auf, da sie nach der Geburt ihres Sohnes ernstlich
an der Luftröhre oder Lunge erkrankt ist. Selbstverständlich ist sie
verheiratet - es fehlt also nur noch eine Figur, damit die
Konfliktsituation komplett ist: der gesunde, geschäftstüchtige Herr
Klöterjahn.
Spinell gelingt es, die Klöterjahn zu einem romantischen Klaviernachmittag
zu verführen, obwohl dies ihrem Gesundheitszustand gewiss abträglich sein
wird. Sie spielt (erst Nocturnes von Chopin, dann aus Wagners Tristan und
Isolde), er schwelgt - wie wundervoll schwülstig doch diese Zusammenkunft
geschildert ist! Spinell weiss bereits, dass die Klöterjahn sterben wird, und in diesem Wissen schreibt er
einen bewusst beleidigenden Brief an ihren Ehemann - um ihm vorzuhalten,
dass er das Leben nicht so wie Spinell selbst sieht und führt...
In "Tristan" verbindet Thomas Mann die Kunst mit dem Kränklichen,
mit dem zum Tod Neigenden, weil sie zu schaffen das Leben aufzehrt - auf
die Gegenseite stellt er die gesunde Geschäftstüchtigkeit, das hand- und
standfeste Leben. Das alles hat Thomas Mann mit offensichtlich sehr breiter
Feder geschrieben - um ein paar Schülergenerationen zu ärgern, ja, dafür
genügt die Novelle ganz sicher.