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Levisite oder Der einzig gerechte Krieg

Johannes Robert Becher

Sieben Jahre sind seit dem Ende des Ersten Weltkrieges vergangen, als Johannes R. Becher sein Buch "Levisite oder Der einzig gerechte Krieg" in einem nur drei Monate währenden Schaffensrausch niederschreibt. Er sieht sich selbst zu dieser Hast, die ihm kaum Korrekturen vor dem Druck erlaubt, gedrängt, weil er den Ausbruch eines neuerlichen Krieges als kurz bevorstehend wähnt - und er ist der Überzeugung, dass die im Weltkrieg erstmals erprobten grausamen Giftgaswaffen dann eine entscheidende Rolle spielen werden. Diese Vision eines kommenden Krieges ist für Becher Anlass, seine Leser auf das eindringlichste zu warnen, sie über die neue Kampftechnik zu informieren, sie für den Widerstand zu gewinnen und dafür geistig zu rüsten.

"Levisite" ist kein herkömmlicher Roman, er kennt keine individuellen, vom Autoren sorgfältig gezeichneten Helden, Figuren, sein Stil ist nicht einheitlich, sondert nutzt, wie es Becher selbst im Vorwort zur 1926er Charkower Ausgabe formuliert, die Technik der Fotomontage: Dialoge, Reden, Zeitungsartikel, sachliche Beschreibungen und poetische Schilderungen wechseln sich ab, um ein möglichst umfassendes Gesamtbild abzugeben.

Der Roman ist der "kommenden deutschen sozialen Revolution" gewidmet und ein ideologischer Spiegel seiner Zeit. Becher war damals wieder Mitglied der Kommunistischen Partei und dies ist dem Buch überdeutlich anzumerken. Dem drohenden Gaskrieg stellt Becher den seiner Meinung nach einzig gerechten Krieg entgegen: Den das Proletariat befreienden Klassenkrieg, für den er unermüdlich in einer alles niederschmetternden Wortgewalt agitiert.

Für Becher gibt es keinen Kapitalismus ohne Krieg: "... und wenn man sich nicht mehr um Absatzgebiete hinmorden kann, was dann... Wie soll man weiterhin den Mehrwert realisieren?... Die Welt ist aufgeteilt: nun muß man wohl bald dem Konkurrenten den Produktionsapparat zerschlagen...". Er blickt in eine düstere Zukunft, die tatsächlich bis dahin noch unvorstellbar dunkler werden sollte, auch wenn die gegnerischen Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg vom Gaseinsatz auf den Schlachtfeldern absahen:

"Wir sind im Anfang einer Zeit von Grausamkeiten, Barbareien ohnegleichen, und bei all dem wird man verlogen, wie man ist, verächtlich und human aufgeklärt auf die Geschichtsepoche der Inquisition und der Hexenprozesse herabblicken..."

Mit am beeindruckensten ist Becher, wenn er die entfesselte Proletariermasse beschreibt: Sie ist eine Riesenkampfmaschine mit Millionen schlagenden Herzen, besteht aus Millionen zuckenden Muskeln, Millionen dem glühenden Morgenrot im Gleichschritt entgegenmarschierenden Füßen. Immer wieder findet er noch ungeheuerlichere Beschreibungen:

"Lawinen von Menschenmassen schüttelt aus sich heraus die Erde. Lava von Menschenblut stampfte dampfend daher.
Türme von Menschenleichen stiegen aus der Tiefe. Massengräber schluckten, ein schlammiger Rachen, die Lichtfrucht der Sonne".

"Schritt gefaßt! Schwenkt! Ausgeschwärmt -
Massenprotest - Generalstreik - Massenaktion - Bewaffneter Aufstand ---
Und wie ein Fächer sich entfaltet -
Sturmwellen wirft der hohe Triumphgang der Geschichte.
Alles ist Kampf, ist Bewegung.
Die Natur selbst trommelt den Kampftakt."


Die Massen- und Maschinenästhetik des Futurismus trifft sich hier mit den oft bis ins Groteske überzogenen Schilderungen des Expressionismus, wird in das strahlendrote Gewand der kommunistischen Ideologie gekleidet. Becher selbst hat seinen Roman als ein Experiment gesehen, das ihm mißlungen ist. Vielleicht hat er recht, wenn er den Roman als Gesamtheit betrachtet, aber allein die wie tollwütig schäumenden poetischen Einsprengungen machen ihn dennoch lesenswert.

1926 wurde "Levisite" in Deutschland verboten. Seine Veröffentlichung spielte eine entscheidende Rolle bei dem Hochverratsprozess, den man gegen Becher anstrengte und der aufgrund öffentlichen Druckes - national wie auch international - eingestellt werden musste.

Diese Rezension schrieb:
Arne-Wigand Baganz (2005-04-10)

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