Aktuell
© 1999-2024 by Arne-Wigand Baganz

Ukraine  Eine Reise durch die Ukraine in 113 Gedichten  Ukraine

Götterdämmerung

Start > Prosa > 2023

Odin und der Fenriswolf, Frej und Surt – Gemälde von Emil Doepler (1905)

Drei Winter nacheinander, und kein Sommer dazwischen, werden kommen, heißt es in der weissagenden Erzählung von der Götterdämmerung. So also wird es sein: Schneegestöber allumher, die Fröste scharf, die Winde schneidig. Kraftlos ermattet, verdunkelt sich die Sonne, bis nur noch ein schwarzer Fleck an ihrer Stelle zu sehen ist, danach nichts mehr. Davor schon kündigen drei Jahre fürchterlichen Krieges den dann unausweichlichen Untergang zeichenhaft an. Brüder erschlagen sich aus Habgier, Väter und Söhne und Söhne und Väter trachten sich nach dem Leben, dessen Wert täglich geringer wird. So sagt es die Völuspá vorher:

Beilalter, Schwertalter, wo Schilde krachen.
Windzeit, Wolfszeit, eh die Welt zerstürzt.


Und so gestaltet sich eindrucksvoll das Ende dieser Welt als das letzte Schauspiel: Die Erde erbebt allüberall, die Bäume werden ihr entrissen und die Berge, große wie kleine, stürzen zusammen, alles, was fest ist, zerreißt, alle Ketten brechen – und so setzt es den noch gebundenen Fenriswolf, den Feind der Götter, frei, der sogleich die Welt zu durchstreifen beginnt und aufsperrt seinen riesigen Rachen, dass sein Unterkiefer die Erde berührt und sein Oberkiefer bis an den Himmel reicht, und wenn es möglich wäre, würde er sein maßloses Maul noch weiter aufsperren – so gewaltig sind sein Wesen und sein alles verschlingender Hunger. Schlau und vorsichtig waren die Götter, wenn sie Fenris zuvor in Ketten legten!
Jetzt zerrt er die schwarze Sonne zu sich herunter und verzehrt sie in einem einzigen Zug, er krallt sich den Mond, alle Sterne fallen zischend vom Himmel, verlöschen, nie wieder zu strahlen, zu scheinen. Das von all den Schrecken aufgepeitschte Meer überflutet das Land und aus dem Land wiederum schlagen Brandwellen in das Meer, lecken empor in den verdüsterten Himmel, stürmische Winde tragen Glutwirbel hinauf bis zum allnährenden Weltenbaum, der Esche Yggdrasil.

Alles Lebende erschrickt und fürchtet sich, bis es stirbt im Weltenbrand.
Zurück bleibt Asche, selbst von Fenris, der seine wiedererlangte Freiheit nur kurz genießen kann, bleibt schließlich nichts als Asche. Asche, Asche. Überall Asche.

© 2023 by Arne-Wigand Baganz

Aufrufe: 242

Ihre Bewertung dieses Textes: