Der in Welyka Dymerka (ein Ort nahe Browary und nord-östlich von Kyjiw in
der heutigen Ukraine) in eine Adelsfamilie hineingeborene Russe Wladimir
Sergejewitsch Petscherin (1807–85) wurde im russisch-orthodoxen Glauben
erzogen und studierte in St. Petersburg. Er wurde sehr früh, nämlich im
Jahr 1835, Professor für griechische Philosophie an der Moskauer
Universität. Nach einem einzigen Lehrzyklus jedoch gab er diese
Beschäftigung wieder auf. Im Jahr 1840 schloss er sich, nachdem er vier
Jahre lang Europa bereist hatte, der römisch-katholischen
Ordensgemeinschaft der Redemptoristen an, die er erst im Jahr 1862 wieder
verließ. Als Petscherin ins freiwillige Exil ging, hatte er sich aus
ethischen Gründen entschlossen, nie wieder nach Russland zurückzukehren:
Es sei ein Land, in dem sich die Prägung des Schöpfers nicht finden lasse.
Der erste russische politische Emigrant
Petscherin wird häufig “der erste russische politische Emigrant” genannt,
er war unter anderem ein romantischer Poet, der gegen den russischen
Despotismus rebellierte, aber auch ein Mönch, zuletzt Seelsorger in einem
Spital. Er starb am Ende eines wechselvollen Lebens in Dublin. Hinterlassen
hat er seine damals als kontrovers rezipierten Memoiren “Apologia pro vita mea”, die in Russland erst hundert Jahre nach seinem Tod veröffentlicht wurden.
Sie enthalten sowohl kritische Stellungnahmen zu seinem Heimatland als auch
zur katholischen Kirche seiner Zeit.
Wie entzückend ist es, sein Vaterland zu hassen
Nachfolgend habe ich ein Gedicht von Petscherin übertragen –
berühmt-berüchtigt ist vor allem seine erste Strophe; sie wird häufig
zitiert, so auch vom Philosophen Nikolai Berdjajew in seiner Monographie “Die russische Idee” (1946). Das Gedicht erinnert einen an Lermontows verzweifelte Zeilen: ”Lebet wohl, ungewaschenes Russland, Land der Sklaven, Land der Herren, und
ihr, blaue Uniformen, und du, ihnen ergebenes Volk.”, der wesentliche Unterschied aber besteht darin, dass sich Lermontow für
den Rückzug in die Passivität entscheidet, während Petscherin zur Tat, zum
Kampf gegen Russland – zur Zerstörung des sich auf den russisch-orthodoxen
Glauben stützenden Vaterlandes, und damit aus seiner Sicht zur Mehrung des
Heils in der Welt aufruft, zumindest sich selbst – ein Kampf, zu dem es
schließlich doch nicht gekommen ist: Es blieb bei den Worten. Auch mit
Worten kann man natürlich kämpfen, aber sie versagen immer dort, wo ihnen
blanke physische Gewalt entgegensteht, gleichwohl können sie einen
wichtigen Beitrag dazu leisten, diese zu brechen. Eine “kleine Lösung” hat
Wladimir Petscherin jedenfalls nicht gesehen, es konnte nur um das Ganze
gehen. Klar, dass er im heutigen Putin-Russland als fehlgeleiteter
“Russophobe” eingeordnet wird – es ist aber spannend zu sehen, dass man
sich noch immer mit ihm beschäftigt. Eine russische Internetseite, die sich
ernsthaft “Erbe des Imperiums” nennt, bewertet ihn wie folgt:
Zitat: Heute versuchen nur noch jene Genossen diesen unglücklichen Menschen zu rechtfertigen, die das echte Russland hassen und ein „ideales“ Land nach westlichen Mustern aufbauen wollen.
Petscherin war kein Schurke. Er gehorchte seinen Wahnvorstellungen und folgte ihnen aufrichtig. Er ruinierte seine Talente mit Russophobie, die aus einer nicht-russischen Erziehung, einem abhängigen Geist und einer unkritischen Wahrnehmung der Versprechen einer „zivilisierten“ Welt hervorgegangen sind (...)
Für diese Erben des Imperiums ist der Untergang des tatsächlich nach wie
vor existierenden russischen Imperiums natürlich gleichbedeutend mit dem
Weltuntergang, und über Bildung zu verfügen, heißt, einen “abhängigen
Geist” zu haben, und “zivilisiert” schreibt man als Vertreter der
russischen Gegenzivilisation selbstverständlich nur in Anführungszeichen.
Hier ist nun aber endlich der Text. Für Verbesserungsvorschläge die
Übersetzung betreffend, die ja letztlich nur auf meinem Schul-Russisch
basiert, kann man mich gern kontaktieren.
Zitat: Wie entzückend ist es, sein Vaterland zu hassen
und sehnsüchtig seine Demütigung zu erwarten! –
und in der Zerstörung des Vaterlandes
den Morgenstern der universellen Wiedergeburt zu erblicken.
(Ich gedachte nicht, die frommen Herren
damit zu beleidigen: Jeder hat seine eigene Meinung.
Lieben? – das kann ein jeglicher Bettler,
Hassen aber ist mächtiger Herzen Nahrung.)
Dann zittert die Hand in Krämpfen
und das feurige Blut kocht wie ein Strom
und sternengleich glänzt der Dolch vor dem Auge
und auf den dunklen Pfad winkt er mich zu sich.
Ich bin Dein! Ich bin Dein! Lasst doch den ganzen Ozean
mit einer krachenden Welle auf mich zustürzen!
Ich werde … Eure doppelköpfige Kirche niederbrennen
und ein neuer Herostratus sein – nur ruhmreicher!