Lastkraftwagen gegen Sanktionen
Die über zweihundert Kilometer lange Heerstraße verbindet die georgische
Hauptstadt Tbilissi mit dem russischen Wladikawkas (als Festung im Jahr
1784 von Russen gegründet, um die indigene Bevölkerung niederzuwerfen,
eigentlich in Nordossetien-Alanien gelegen). Wladikawkas heißt auf Deutsch ”Beherrsche den Kaukasus” und trägt damit die hässliche Fratze des Imperialismus bereits in seinem
Namen. Von Tbilissi kommend, verläuft die Heerstraße nach Norden hinter der
Ortschaft Almasiani immer in der Nähe des Terek, einem Fluss, der in
Georgien entspringt und der sich nach 623 Kilometern schließlich im
Kaspischen Meer ergießt. Dieser Tage im Sommer 2023 sind die endlosen
Truckkarawanen auf der Heerstraße besonders augenfällig. Die
Lastkraftwagen, aus denen sie bestehen, bewegen sich Richtung Russland oder
parken immer wieder über viele hundert Meter am schmalen Straßenrand, bis
sie weiterfahren können, wobei sich von außen nicht erschließt, nach
welchem System sie sich bewegen dürfen und wann sie halten müssen. Häufig
tragen sie armenische, kirgisische oder türkische Kennzeichen. Man möchte
gar nicht wissen, was mit diesen Lastkraftwagen nach oder (nur?) durch das
terroristische Russland gefahren wird, sonst müsste man sich vielleicht
sofort mit seinem Körper davorwerfen, sicher aber dürfte sein, dass dieser
Verkehr kaum zum Schaden Russlands stattfindet, sondern ihm wahrscheinlich
sogar dabei hilft, seinen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine
fortzusetzen. So viel zu den Sanktionen …
Magische Daten
Es ist heute, da ich diesen Artikel schreibe, genau 15 Jahre her, dass
Russland Georgien überfallen hat: Es war am 08.08.08 – ein Schelm, wer
meinen sollte, dass der russische Diktator besondere Daten für seine
Verbrechen bevorzugt, denn wenn es stimmen würde, hätte er doch die Ukraine
vollumfänglich am 22. und nicht am 24.02.22 von seinen ehrlosen
Mordkommandos angreifen lassen. Vielleicht ist ihm auch nur etwas
dringendes dazwischen gekommen … aber wie sehr sich Putin in seinem
Narzissmus auch um diese Daten sorgen könnte, in den Geschichtsbüchern
steht er bereits jetzt als einer der widerwärtigsten Massenmörder des 21.
Jahrhunderts: Millionen Menschen warten seit Jahren sehnsüchtig auf sein
gerechtes Ende. Herr im Himmel! – es ist doch längst überfällig. Worauf wartest Du?
Hipster aus dem Herz der Finsternis
Vielleicht kurz zur Hauptstadt ein paar Worte: Im Tbilissi dieser Tage
sieht man die Folgen der russischen Immigration überall. Es gibt russische
Jugendliche, die am Wochenende in westlicher Markenkleidung angeheitert
durch die Straßen tanzen; in Hipster-Bars trinken etwas ältere Russen
überteuertes Craftbeer, das sich kaum ein Einheimischer leisten kann, man
schaut dabei vielleicht griesgrämig auf die fallenden russischen
Börsenkurse, die einem das neueste und größte derzeit erhältliche iPhone
anzeigt, und denkt dabei z.B. wehmütig an das Herz der Finsternis, seine
Heimatstadt Moskau, die man verlassen musste, damit man nicht für den
russischen Faschismus in der Ukraine in den Fleischwolf geschickt wird.
Überall in Tbilissi hört man Leute die russische Sprache sprechen. Da
suchen sie also Zuflucht in einem Land, das ihr eigenes Land seit 2008 zu
einem Fünftel besetzt hält. Wo waren diese Leute damals? Vielleicht waren
viele von ihnen noch kleine Kinder, mag man einwenden … Was sind sie heute:
Menschen, die nur an ihren eigenen Vorteil denken und keine Moral haben,
oder welche, die ein Herz besitzen und etwas bewegen wollen? Wahrscheinlich
sind viele wie die Lastwagen, die mit ihrer Fracht nach Russland fahren:
Man möchte lieber nicht wissen, was in ihnen ist – aber, ohne es zu sehr zu
relativieren: Das möchte man bei uns bei vielen Nebenmenschen oft auch
nicht. Das allerdings ist wahrscheinlich bereits Teil der Misere …
Eigentlich ist das hier eine Art Reisebericht, aber ich biege mal links,
mal rechts ab. Also zurück auf die Haupt- bzw. Heerstraße: Nach
Stepanzminda sind wir von Tbilissi gekommen, es gibt dort auch viele
Marschrutki, die in kyrillischen Buchstaben anzeigen, dass sie direkt bis
nach Wladikawkas fahren. Ein solches Gefährt haben wir aber nicht genommen,
denn wir wollten ja im schönen Georgien bleiben. In Russland darf ich mich
sowieso niemals blicken lassen … und will es natürlich auch gar nicht. Ich
habe dort nichts verloren.
Das georgische Paradies
Georgien ist ein Paradies – aber man möchte gar nicht zu laut und explizit
davon reden, denn sonst ist es bald keines mehr, weil der Massentourismus
fast immer alles zerstört. Stepanzminda, das also Ziel unserer Reise war,
ist eine besondere Perle an der Georgischen Heerstraße, nur noch 11
Kilometer von Russland entfernt. Von diesem Ort blickt man hoch zum
schneebedeckten Kazbek, dem mit 5.054 Metern dritthöchsten Berg Georgiens,
weit davor gelagert hebt sich die steinerne Gergetier Dreifaltigkeitskirche
markant vom Horizont ab; sie ist das beliebteste Fotomotiv des Landes und
auf vielen Georgien-Reiseführern auf dem Einband abgebildet. Die Umgebung
lädt zu Wanderungen ein, durch Täler, zu kühlen Flüssen und bezaubernden
Wasserfällen. Stepanzminda selbst mit seinen etwa 1.300 Einwohnern (2014)
bietet viele Übernachtungsmöglichkeiten, auch günstige. Es gibt sogar
Supermärkte, wobei eine der größeren Herausforderungen in diesen ist, immer
fein auf die EAN-Codes auf den Produkten zu achten, um nicht ungewollt doch
russische Waren zu erwerben, die es hier leider noch in großer Zahl zu
kaufen gibt. Dass in Georgien trotzdem viele zur Ukraine stehen und
Russland verachten, sieht man auch an den vielen Graffiti beispielsweise
auf dem Weg hinauf zur Gergetier Dreifaltigkeitskirche, manche davon sind
jedoch mittlerweile unkenntlich gemacht worden, obwohl man mit etwas Mühe
noch erahnen kann, was sie einst bedeuten wollten.
Aus dem Donbas geflohen
In Stepanzminda nun haben wir einen Ukrainer kennengelernt – die Ukraine
ist ja gerade sowieso überall, besonders aber natürlich in den aufrechten
Herzen. Er hat dort mit seiner Familie wie wir Urlaub gemacht. Ich nenne
ihn einfach Ihor, sein richtiger Name täte nichts zu dieser Geschichte
dazu. Ihor hatte sich mal ein gut laufendes, eigenes Business in Donezk
aufgebaut, jener Stadt im ukrainischen Donbas, die schon 2014 von den
russischen Faschisten (oder soll ich sagen: faschistischen Russen?) besetzt
worden ist. Erst dachte er, dass es schon irgendwie weitergehen würde, aber
es wurde für ihn immer schwieriger, in seiner nun okkupierten Stadt zu
leben, so dass er sich irgendwann gezwungen sah, alles, was er sich
aufgebaut hatte, aufzugeben und in die freie Ukraine überzusiedeln. Da
treffen wir uns also viele Jahre später zufällig in Georgien und rufen uns
fröhlich Slawa Ukrajini! – Herojam Slawa! zu. Seine Augen strahlen. Er weiß, dass die Ukraine den Krieg gewinnen wird
– und das muss sie ja auch, damit die russischen Gräuel aufhören und das
Gute über das totale Böse siegt.
Eingereist ist Ihor nach Georgien tatsächlich über Russland: Ich frage
nicht, wie genau und wieso, auch wenn es mich sehr interessiert und sogar
verblüfft. In Russland hat er noch Verwandtschaft, aber seit dem
vollumfänglichen Krieg Russlands gegen die Ukraine ist keine Verständigung
mit ihr mehr möglich. Das hat man schon so oft gehört: Der sklavische Teil
der Bevölkerung in Russland ist seiner terroristischen Regierung absolut
hörig, selbst wenn er ukrainische Wurzeln haben sollte. Die staatlichen
Propagandalügen sind mächtiger als familiäre Bande und der Mut zur
Wahrheit, der Mut zur Menschlichkeit ist kleiner noch als ein Floh.
Die hässliche Seite des Kaukasus
Da er also über Russland eingereist ist, frage ich Ihor, wie der Kaukasus
denn drüben auf der anderen Seite aussieht. Er winkt ab: Hier in Georgien
ist es auf jeden Fall viel schöner, was gäbe es schon von der anderen Seite
zu berichten, was zu reden. Skeptisch, der Schalk sitzt mir im Nacken,
wende ich ein, dass die Berge dort sicherlich auch gerade grün seien und
hübsch anzusehen sein müssten. Ja, gibt er mir mit einem wissenden Lächeln
zu, das ist schon wahr, aber es gefalle ihm drüben in Russland einfach
nicht. Natürlich verstehe ich, was er meint: Grüne Berghänge hin oder her,
Russland ist ein schlimmes, ein schreckliches, ein gottloses Land. Es
bombardiert Syrien, hält Transnistrien, Teile Georgiens sowie der Ukraine
besetzt, es terrorisiert die Ukraine täglich, es tötet und tötet ohne
Unterlass, sogar den GULag bauen sie dort wieder auf usw. usf. – und selbst
der Terek ist in Russland nur ein schwarzes und giftiges Scheusal, während
er sich in Georgien noch frei und munter durch das Tal stürzt und dabei
zuweilen süßliche Liebeslieder singt, wenn man nur achtsam genug hinzuhören
weiß. Sakartwelo! So ungefähr ist es.