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Ukraine  Eine Reise durch die Ukraine in 113 Gedichten  Ukraine

Auf der schönen Seite des Kaukasus

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Blick über den Terek in Richtung Stepanzminda (Georgien, 2023)

Einige Eindrücke von einer Georgien-Reise im Sommer des Jahres 2023

Lastkraftwagen gegen Sanktionen
Die über zweihundert Kilometer lange Heerstraße verbindet die georgische Hauptstadt Tbilissi mit dem russischen Wladikawkas (als Festung im Jahr 1784 von Russen gegründet, um die indigene Bevölkerung niederzuwerfen, eigentlich in Nordossetien-Alanien gelegen). Wladikawkas heißt auf Deutsch ”Beherrsche den Kaukasus” und trägt damit die hässliche Fratze des Imperialismus bereits in seinem Namen. Von Tbilissi kommend, verläuft die Heerstraße nach Norden hinter der Ortschaft Almasiani immer in der Nähe des Terek, einem Fluss, der in Georgien entspringt und der sich nach 623 Kilometern schließlich im Kaspischen Meer ergießt. Dieser Tage im Sommer 2023 sind die endlosen Truckkarawanen auf der Heerstraße besonders augenfällig. Die Lastkraftwagen, aus denen sie bestehen, bewegen sich Richtung Russland oder parken immer wieder über viele hundert Meter am schmalen Straßenrand, bis sie weiterfahren können, wobei sich von außen nicht erschließt, nach welchem System sie sich bewegen dürfen und wann sie halten müssen. Häufig tragen sie armenische, kirgisische oder türkische Kennzeichen. Man möchte gar nicht wissen, was mit diesen Lastkraftwagen nach oder (nur?) durch das terroristische Russland gefahren wird, sonst müsste man sich vielleicht sofort mit seinem Körper davorwerfen, sicher aber dürfte sein, dass dieser Verkehr kaum zum Schaden Russlands stattfindet, sondern ihm wahrscheinlich sogar dabei hilft, seinen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine fortzusetzen. So viel zu den Sanktionen …

Magische Daten
Es ist heute, da ich diesen Artikel schreibe, genau 15 Jahre her, dass Russland Georgien überfallen hat: Es war am 08.08.08 – ein Schelm, wer meinen sollte, dass der russische Diktator besondere Daten für seine Verbrechen bevorzugt, denn wenn es stimmen würde, hätte er doch die Ukraine vollumfänglich am 22. und nicht am 24.02.22 von seinen ehrlosen Mordkommandos angreifen lassen. Vielleicht ist ihm auch nur etwas dringendes dazwischen gekommen … aber wie sehr sich Putin in seinem Narzissmus auch um diese Daten sorgen könnte, in den Geschichtsbüchern steht er bereits jetzt als einer der widerwärtigsten Massenmörder des 21. Jahrhunderts: Millionen Menschen warten seit Jahren sehnsüchtig auf sein gerechtes Ende. Herr im Himmel! – es ist doch längst überfällig. Worauf wartest Du?

Hipster aus dem Herz der Finsternis
Vielleicht kurz zur Hauptstadt ein paar Worte: Im Tbilissi dieser Tage sieht man die Folgen der russischen Immigration überall. Es gibt russische Jugendliche, die am Wochenende in westlicher Markenkleidung angeheitert durch die Straßen tanzen; in Hipster-Bars trinken etwas ältere Russen überteuertes Craftbeer, das sich kaum ein Einheimischer leisten kann, man schaut dabei vielleicht griesgrämig auf die fallenden russischen Börsenkurse, die einem das neueste und größte derzeit erhältliche iPhone anzeigt, und denkt dabei z.B. wehmütig an das Herz der Finsternis, seine Heimatstadt Moskau, die man verlassen musste, damit man nicht für den russischen Faschismus in der Ukraine in den Fleischwolf geschickt wird. Überall in Tbilissi hört man Leute die russische Sprache sprechen. Da suchen sie also Zuflucht in einem Land, das ihr eigenes Land seit 2008 zu einem Fünftel besetzt hält. Wo waren diese Leute damals? Vielleicht waren viele von ihnen noch kleine Kinder, mag man einwenden … Was sind sie heute: Menschen, die nur an ihren eigenen Vorteil denken und keine Moral haben, oder welche, die ein Herz besitzen und etwas bewegen wollen? Wahrscheinlich sind viele wie die Lastwagen, die mit ihrer Fracht nach Russland fahren: Man möchte lieber nicht wissen, was in ihnen ist – aber, ohne es zu sehr zu relativieren: Das möchte man bei uns bei vielen Nebenmenschen oft auch nicht. Das allerdings ist wahrscheinlich bereits Teil der Misere …

Eigentlich ist das hier eine Art Reisebericht, aber ich biege mal links, mal rechts ab. Also zurück auf die Haupt- bzw. Heerstraße: Nach Stepanzminda sind wir von Tbilissi gekommen, es gibt dort auch viele Marschrutki, die in kyrillischen Buchstaben anzeigen, dass sie direkt bis nach Wladikawkas fahren. Ein solches Gefährt haben wir aber nicht genommen, denn wir wollten ja im schönen Georgien bleiben. In Russland darf ich mich sowieso niemals blicken lassen … und will es natürlich auch gar nicht. Ich habe dort nichts verloren.

Das georgische Paradies
Georgien ist ein Paradies – aber man möchte gar nicht zu laut und explizit davon reden, denn sonst ist es bald keines mehr, weil der Massentourismus fast immer alles zerstört. Stepanzminda, das also Ziel unserer Reise war, ist eine besondere Perle an der Georgischen Heerstraße, nur noch 11 Kilometer von Russland entfernt. Von diesem Ort blickt man hoch zum schneebedeckten Kazbek, dem mit 5.054 Metern dritthöchsten Berg Georgiens, weit davor gelagert hebt sich die steinerne Gergetier Dreifaltigkeitskirche markant vom Horizont ab; sie ist das beliebteste Fotomotiv des Landes und auf vielen Georgien-Reiseführern auf dem Einband abgebildet. Die Umgebung lädt zu Wanderungen ein, durch Täler, zu kühlen Flüssen und bezaubernden Wasserfällen. Stepanzminda selbst mit seinen etwa 1.300 Einwohnern (2014) bietet viele Übernachtungsmöglichkeiten, auch günstige. Es gibt sogar Supermärkte, wobei eine der größeren Herausforderungen in diesen ist, immer fein auf die EAN-Codes auf den Produkten zu achten, um nicht ungewollt doch russische Waren zu erwerben, die es hier leider noch in großer Zahl zu kaufen gibt. Dass in Georgien trotzdem viele zur Ukraine stehen und Russland verachten, sieht man auch an den vielen Graffiti beispielsweise auf dem Weg hinauf zur Gergetier Dreifaltigkeitskirche, manche davon sind jedoch mittlerweile unkenntlich gemacht worden, obwohl man mit etwas Mühe noch erahnen kann, was sie einst bedeuten wollten.

Aus dem Donbas geflohen
In Stepanzminda nun haben wir einen Ukrainer kennengelernt – die Ukraine ist ja gerade sowieso überall, besonders aber natürlich in den aufrechten Herzen. Er hat dort mit seiner Familie wie wir Urlaub gemacht. Ich nenne ihn einfach Ihor, sein richtiger Name täte nichts zu dieser Geschichte dazu. Ihor hatte sich mal ein gut laufendes, eigenes Business in Donezk aufgebaut, jener Stadt im ukrainischen Donbas, die schon 2014 von den russischen Faschisten (oder soll ich sagen: faschistischen Russen?) besetzt worden ist. Erst dachte er, dass es schon irgendwie weitergehen würde, aber es wurde für ihn immer schwieriger, in seiner nun okkupierten Stadt zu leben, so dass er sich irgendwann gezwungen sah, alles, was er sich aufgebaut hatte, aufzugeben und in die freie Ukraine überzusiedeln. Da treffen wir uns also viele Jahre später zufällig in Georgien und rufen uns fröhlich Slawa Ukrajini! – Herojam Slawa! zu. Seine Augen strahlen. Er weiß, dass die Ukraine den Krieg gewinnen wird – und das muss sie ja auch, damit die russischen Gräuel aufhören und das Gute über das totale Böse siegt.
Eingereist ist Ihor nach Georgien tatsächlich über Russland: Ich frage nicht, wie genau und wieso, auch wenn es mich sehr interessiert und sogar verblüfft. In Russland hat er noch Verwandtschaft, aber seit dem vollumfänglichen Krieg Russlands gegen die Ukraine ist keine Verständigung mit ihr mehr möglich. Das hat man schon so oft gehört: Der sklavische Teil der Bevölkerung in Russland ist seiner terroristischen Regierung absolut hörig, selbst wenn er ukrainische Wurzeln haben sollte. Die staatlichen Propagandalügen sind mächtiger als familiäre Bande und der Mut zur Wahrheit, der Mut zur Menschlichkeit ist kleiner noch als ein Floh.

Die hässliche Seite des Kaukasus
Da er also über Russland eingereist ist, frage ich Ihor, wie der Kaukasus denn drüben auf der anderen Seite aussieht. Er winkt ab: Hier in Georgien ist es auf jeden Fall viel schöner, was gäbe es schon von der anderen Seite zu berichten, was zu reden. Skeptisch, der Schalk sitzt mir im Nacken, wende ich ein, dass die Berge dort sicherlich auch gerade grün seien und hübsch anzusehen sein müssten. Ja, gibt er mir mit einem wissenden Lächeln zu, das ist schon wahr, aber es gefalle ihm drüben in Russland einfach nicht. Natürlich verstehe ich, was er meint: Grüne Berghänge hin oder her, Russland ist ein schlimmes, ein schreckliches, ein gottloses Land. Es bombardiert Syrien, hält Transnistrien, Teile Georgiens sowie der Ukraine besetzt, es terrorisiert die Ukraine täglich, es tötet und tötet ohne Unterlass, sogar den GULag bauen sie dort wieder auf usw. usf. – und selbst der Terek ist in Russland nur ein schwarzes und giftiges Scheusal, während er sich in Georgien noch frei und munter durch das Tal stürzt und dabei zuweilen süßliche Liebeslieder singt, wenn man nur achtsam genug hinzuhören weiß. Sakartwelo! So ungefähr ist es.

Veröffentlicht am 08.08.2023

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