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Der erste Shitstorm

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Immer freundlich grüßen die versammelten Kackhaufen

Eine Art spekulativer Erfahrungsbericht über das Phänomen, welches als Worteintrag erst seit 10 Jahren im Duden steht.

Von einigem sagt man, dass es nie wieder so schön sein soll wie beim ersten Mal. Das trifft vielleicht auf die erste große Liebe zu, die sich nie erfüllt und welche damit in jeder Hinsicht unerreichbar bleibt, oder die erste Million, die man sich ehrlich verdient, falls das überhaupt möglich ist, oder auch den ersten Schuss, den man sich setzt, wenn man ihn denn überlebt, und dergleichen – um solch eine Kategorie geht es also ungefähr in diesem Text, wobei ich nicht vollkommen sicher bin und sein kann, ob der erste Shitstorm wirklich da hineinfällt, weil man mehr als einen erlebt haben müsste, um es beurteilen zu können, aber nehmen wir es für ein paar Momente einfach als Arbeitshypothese an, damit es hier weitergehen kann. Dass ich unzulässig verallgemeinere, muss ich in Kauf nehmen. Kunst darf das, oder etwa nicht? Und Kunst ist es doch wohl, was hier in Buchstaben geschrieben steht –––
So ein Shitstorm ist auf jeden Fall eine besondere, nicht ganz alltägliche Angelegenheit, wobei es natürlich ganz darauf ankommt, warum man ihn erregt hat: Ist er entstanden, weil man einen dummen Fehler begangen hat, oder nur, weil man etwas geäußert hat, was vielen Leuten nicht in ihr verengtes Weltbild passt? Handelt es sich um den zweiten Fall, hat man Glück, dann ist der Shitstorm eine Bestätigung dessen, dass man den richtigen Nerv getroffen hat, zumal sich ja parallel dazu auch ein warmer Goldregen über einen ergießen kann, den jene produzieren, die einem auf der anderen Seite emphatisch zustimmen. Es ist nahezu wunderbar, wenn man so polarisieren kann! Man wird für ein paar flüchtige Momente zugleich geliebt und gehasst, bevor man wieder wie der Staub auf der Erde ist.
Ein Shitstorm ist auch nicht unbedingt als schlimm einzustufen, vorausgesetzt, er schwappt nicht in die physische Welt hinüber, und das, selbst wenn die Leute versuchen, sich in ihrer Aufregung an Tiefschlägen, die sie gegen einen austeilen, zu überbieten. Es ist eben eine Art perverser Sport: Mob-Sport. Jeder darf einmal draufhauen. Das alles geht vorüber, und wenn es einem doch zu sehr stinkt, dann hält man ein wenig die Luft an oder macht das Internet für eine Zeit aus, man ist schließlich nicht verpflichtet, sich alles anzutun, was gewisse, zumeist ja noch anonyme und damit feige Leute so ablassen und womit sie einen zu verletzen suchen. Am Ende sind sie es ja, an deren Händen noch Reste von der Scheisse kleben, mit der sie einen treffen wollten, denn einen selbst treffen können sie nicht, dafür fehlen ihnen die geeigneten Mittel und die richtige Übung. In der Regel melden sie sich ja auch gar nicht direkt zur Sache, die Sache ist nur ein Anlass, sie wühlen und suchen, um irgendetwas zu finden, das sie einem anhängen können, vielleicht ein Detail aus der eigenen Biographie, das sie aufgestöbert haben und für einen Schwachpunkt halten. An einem selbst kann so etwas einfach abprallen, weil es ja lächerlich und kein Niveau ist, auf dem man sich austauschen kann – vor allem nicht mit wildfremden Leuten, bei denen man gar nicht weiß, wer wer ist. Der Nachbar von nebenan, der einen sonst immer freundlich im Treppenhaus grüßt, wird es schon nicht sein?!
Gong! Das ist die wortlaute Überleitung zum schönen, wenn auch bedauerlich kurzen Teil dieses Textes:
Ich stelle mir eine junge Chili-Pflanze vor, wie sie ihren ersten Shitstorm erlebt. Der Wind rüttelt etwas an ihr, ihre Blätter flattern ein wenig hin und her und rascheln, aber am Ende des Tages wird er nur dazu führen, dass sie einen stärkeren Stamm entwickelt, der sich von künftigen Unwettern noch weniger irritieren lässt. So wie beim ersten Mal wird es nie wieder werden. Sollte sie deswegen traurig sein?
Ich kann die Frage für sie, die Pflanze, und für Sie, meinen verehrten Leser, nicht beantworten, aber es besteht in diesem Fall doch weiterhin die Hoffnung auf kräftig gefärbte, feurig brennende Früchte!
Cheerio.

Veröffentlicht am 04.08.2023

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