Papiermacher Siller hat sich im Wald mit der faulen Fichte aufgehängt, ganz
im Gegensatz zur regionalen Tradition, sich in der Traun zu ertränken. Aber
das ist nicht, wie Thomas Bernhards "Watten" beginnt. Den Anfang
in diesem Werk macht ein kurzer Briefwechsel, in dem der Leser von einem
Akt menschlicher Großzügigkeit erfährt. Es geht um die Schenkung eines
Schlosses, das fortan dazu genutzt werden soll, entlassenen Strafhäftlingen
die Rückkehr in die Gesellschaft zu erleichtern. Vorgenommen wird die
Schenkung vom Ich-Erzähler des Buches, einem Doktoren, der in den Ruinen
seines Berufslebens steht. Wie kam es zu dieser Zerstörung? Der Doktor ist
an allzumenschlicher Schwäche gescheitert. Sein Kontrahent denunzierte ihn
wegen seines offensichtlich gewordenen Morphiummissbrauchs. Dagegen liess
sich nichts sagen. Seither lebte er in einer einfachen Baracke, die nicht
besser beschaffen war als das Wirtshaus im Wald, in welchem er sich seit 20
Jahren jede Woche mit drei anderen Männern der Gegend, darunter auch der
Papiermacher und der Fuhrmann, traf. Nun aber, und das ist das
vordergründige Thema des Buches, mag der Doktor nicht mehr zum Watten in
das Wirtshaus gehen, wird jedoch vom Fuhrmann, der ihn in seiner Baracke
besucht, dazu mit den immer gleichen Worten gedrängt.
Wie man es von Bernhard gewohnt ist, kommt auch in dieser Erzählung seine
Technik der fast endlosen Wiederholung zum Einsatz. Die Wirkung ist jener
der Technomusik nicht unähnlich: Da wird ein Motiv ständig und bis zur
Ekstase repetiert, minimalistisch variiert, bis es plötzlich von einem
nächsten, ähnlichen Motiv abgelöst wird. Diese Ablösung kommt einer
Erlösung gleich.
Zurück zum Inhalt:
20 Jahre Watten im Wald. Dann kein Watten mehr. Die Selbstverständlichkeit
ist zerbrochen wie auch das Leben zerbrochen ist; selbst die Papiere des
Doktors, seine persönlich wertvollen und doch nicht wertvollen
Aufzeichnungen, seine Baracke sind in größte Unordnung geraten. All diese
Papiere sollen brennen.
Im geheimen sieht sich der Doktor vielleicht schon auf dem Weg, den der
Papiermacher bereits zu Ende gegangen ist.
"Ein Mensch wie ich, ist ein Mensch voller Kunststücke und wartet
ununterbrochen auf einen Menschen, der ihm seine Kunststücke zertrümmert,
indem er ihm seinen Kopf zertrümmert, geehrter Herr."
Thomas Bernhard - Watten
89 S., Suhrkamp Verlag, 1969
ISBN 3-518-39320-0