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Maxim Gorki in Bad Saarow

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Die Beschreibung Brandenburgs als “Kleine DDR” soll auf den Berliner CDU-Politiker Klaus-Rüdiger Landowsky zurückgehen, der mit diesem anschaulichen Begriff vor einer Fusion der beiden Länder Berlin und Brandenburg warnte, dabei also gar nicht nur Brandenburg im Sinn hatte. Ich habe ihn bisher selbst nie benutzt aber mir oft überlegt, was er wohl meinen könnte, erst heute habe ich dann einmal seinem Ursprung nachgeforscht, wenn man eine kurze Internetsuche überhaupt so nennen kann. Ich hatte mir immer gedacht, dass der Begriff vielleicht meine, in Brandenburg sei die DDR besonders gut erhalten geblieben. Das Land ist schließlich hinreichend strukturschwach, in vielen Winkeln findet man noch unsanierte bauliche Relikte aus der Zeit des Unrechtregimes und selbst bei der Umbenennung der Straßen scheint man nicht allerorts Eile zu verspüren, so tragen Straßen noch die Namen fragwürdiger DDR-Heiliger wie Ernst Thälmann, Friedrich Engels, Hermann Duncker, Wilhelm Pieck oder Fritz Heckert. Gegen Friedrich Engels-Straßen habe ich selbst gar nicht so viel, es sei denn, sie trugen früher einen weniger politischen Namen.

Im süd-östlich von Berlin gelegenen kleinen Städtchen Bad Saarow gibt es sogar eine Schule, die noch nach den Namen Maxim Gorkis in ihrem Titel führt, allerdings ist dies beileibe nicht die einzige so benannte Schule in Ostdeutschland. Bad Saarow verbindet jedoch eine persönliche Geschichte mit dem russisch-sowjetischen Schriftsteller: 1922/23 hielt er sich in dem Ort auf, um ein Lungenleiden zu kurieren. Vor dem von ihm benutzten Kurhaus ist eine Plakette, eine kleine Büste und in Großbuchstaben ein silberner Schriftzug “Maxim Gorki” zu sehen. Mit welchen Gedanken gehen die Leute hier vorbei? Werden sie überhaupt von diesen Erinnerungszeichen beeinflusst? Ziehen diese Dinge wohlhabende Russen an, die sich hier wie ihr Landsmann kurieren lassen wollen?

Das Schulgebäude ist ein langweiliger DDR-Typenbau, an der Eingangsseite steht ein Farbkachel-Monument, das den Schriftsteller als alten Mann mit jungen, lernbegierigen Kindern im sozialistischen Stil zeigt. Eines der Kinder trägt sogar eine Budjonowka-Mütze der Roten Armee, wie sie im russischen Bürgerkrieg eingeführt wurde – inklusive rotem Stern. Auf der Rückseite des Kunstwerks ist Gorkis “Sturmvogel” zu sehen – ein beeindruckendes literarisches Motiv aus seinem Schaffen, hier bildlich eher mittelmäßig umgesetzt.

Gorki war ein passabler Schriftsteller, keineswegs so groß wie Tschechow oder Tolstoi; er kam aus einfachen Verhältnissen. Auch seine Werke waren einfach, aber in ihrer ursprünglichen Tendenz ehrlich, humanistisch und durchgehend sozialkritisch. Allerdings liegt auf Gorkis Werk auch ein monumentaler und erdrückender Schatten: Immer wieder ließ er sich vor den Karren der Bolschewiki spannen und verfasste Propaganda-Werke wie “Die Mutter” (1906, gehasste Pflichtlektüre nicht nur in der DDR) oder “Das Werk der Artamanows” (1925). Sein schon während der Zeit des Stalinismus geschriebenes, unvollendetes Grand-Opus “Klim Samgin” (1925-36) ist ein literarisches Zeugnis des Scheiterns der größenwahnsinnigen und menschenfeindlichen kommunistischen Utopie, Gorkis Zeitungsartikel während Stalins Herrschaft sind der komplette seelische Ausverkauf, sein Beitrag zur Zementierung der Doktrin des Sozialistischen Realismus auf dem I. Allunions-Kongress der Sowjetschriftsteller ist die ewige Verdammnis in der Hölle. Aber es gibt trotz all dem genannten auch einen guten Gorki, der es vielleicht wirklich wert ist, über die Zeit gerettet zu werden. Dieser gute Gorki verfasste eine wunderbare dreiteilige, nicht zu ausschweifend erzählte Autobiographie (“Meine Kindheit” 1913/14, “Unter fremden Menschen” 1915/16, “Meine Universitäten” 1923), zahlreiche feine frühe Erzählungen (vor 1907) und ein paar beeindruckende Dramen wie “Die Kleinbürger” (1901), “Nachtasyl” (1902) oder “Kinder der Sonne” (1905), die manchmal auch heute noch erfolgreich aufgeführt werden.

Was da unterm Strich für eine Summe bei der Bewertung Maxim Gorkis als Mensch und Schriftsteller steht, muss jeder Leser für sich entscheiden. Ich selbst kann die Person inzwischen nur noch schwer von dem trennen, was sie für den Kommunismus bzw. Stalinismus getan hat und wie dieser ihn für sich – gerade nach seinem Tode – absolut vereinnahmt hat, sodass die Menschen sprichwörtlich nur noch kotzen konnten, wenn sie seinen Namen hören mussten. Die in der DDR gegründete Maxim Gorki-Schule in Bad Saarow steht von außen betrachtet für diesen schlechten Maxim Gorki: den literarischen Laufburschen Lenins, den Diener Stalins, den Tod kreativen Schaffens im Zeichen des Sozialistischen Realismus. Ich denke, es wird allmählich Zeit, dass die “Kleine DDR” auch hier in Bad Saarow noch ein kleines bißchen kleiner wird, bis sie irgendwann ganz verschwunden ist, damit die Schulgänger dieser Bildungseinrichtung als freie Menschen in einem freien Land ohne den angestaubten Ballast einer totalitären Diktatur aufwachsen können – selbst wenn er nur als größtenteils sinnentleerte Verzierung fortbestehen sollte.

Veröffentlicht am 28.03.2021

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