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Egon Krenz im Interview

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Jakob Augstein hat im Jahre 2016 in der ZDF-Reihe “Zeugen des Jahrhunderts” den letzten Staatsratsvorsitzenden der DDR, Egon Krenz, interviewt. Das Interview ist sehr lang, es geht beinahe vier Stunden. Vier Stunden, in denen Egon Krenz Zeit hat, seine sehr eigene Version der Geschichte dem Publikum nahezu unangefochten von Augstein zu präsentieren. Das macht er sehr gern und mit einem nicht zu bestreitenden Charme. Die ausgestrahlte Version des Interviews wurde auf 42 Minuten gekürzt, so steht sie zumindest aktuell in der Mediathek. Ich habe mir, verteilt auf zwei Abende, die lange Variante zugemutet.
Ist Egon Krenz ein Gescheiterter? Man kann eigentlich nicht sagen, dass Egon Krenz um die Früchte seiner Karriere betrogen worden ist. Für ihn lief das Leben in der DDR glänzend, es ging für ihn so lange bergauf, bis er das höchste Amt des Staates inne hatte. Allerdings gab es auf der letzten Karrierestufe zwei Probleme: 1. hatte er das Amt nur für kurze Zeit inne und 2. war es gar nichts mehr wert, da sich die Bürger der DDR der Demokratie zugewandt und die politischen Strippenzieher im Kreml ihren kleinen Satellitenstaat schon abgeschrieben hatten. Es ist wie bei mancher Bergtour: Auf dem Gipfel ist nichts - oder nicht das, was man dort erwartet hat. Selbstbetrug ändert nichts daran.
Das ist ja das zentrale Problem dieses Egon Krenz: Er kann sich nicht damit abfinden, dass die ihm seiner Meinung nach zustehenden Früchte faul gewesen sind. Deswegen hat er sich politisch seit dem Zusammenbruch des Unrechtsstaates DDR nicht mehr bewegt und ist ein Ewiggestriger geblieben, der es auch alle gern wissen lässt. Deswegen schreibt er so viele Bücher. Freilich war die DDR für ihn auch kein Unrechtsstaat, denn das einzugestehen würde ja seine eingebildete Lebensleistung schmälern.
Im Laufe des Interviews kann man ein wenig erahnen, wie Egon Krenz so erfolgreich werden konnte: Er lässt keinen Ball liegen, auch wenn Augstein bereits zum nächsten Thema wechseln will; einen Krenzschen Nachschuss direkt in das Tor muss es noch geben, danach darf gern weitergespielt werden. Wie steht es am Ende für Krenz? Ich habe nicht gezählt, schätzungsweise 80:3? So einer konnte sich früher gut durchsetzen, in der BRD hätte er selbstverständlich auch irgendeine Art politische Karriere gemacht, wäre möglicherweise sogar Kanzler geworden. Heute ist er nur eine einigermaßen tragische Witzfigur, die natürlich wenig auslässt, um sich noch unbeliebter zu machen. So ist Krenz auch ein Apologet der russischen Aggression gegen die Ukraine und ein Fürsprecher Ernst Thälmanns. Das Denkmal in Berlin und die vielen ostdeutschen Straßen, die leider noch immer nach diesem Agenten Stalins und Feind der Demokratie benannt sind, sollen nach Krenz bitte erhalten bleiben.
Das Interview bietet Historikern sicherlich viel Stoff, mit dem sie sich beschäftigen können - und Laien mit kritischem Blick die Möglichkeit, diesen Menschen besser zu verstehen. Krenz eine so große Bühne zu bieten, auf der er nahezu ungestört sein Stück aufführen kann, ist allerdings schon eine ziemliche Fahrlässigkeit.

Veröffentlicht am 28.07.2020

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