Die Geschichte, die uns der Roman "Rot und Schwarz" erzählt,
spielt im Frankreich der 1830er Jahre. Die damalige Gesellschaft ist von
den Klassenunterschieden zwischen Adel, Bürgertum und Unterschicht geprägt.
Julien Sorel, Held des Romans, entstammt der untersten Schicht; er ist Sohn
eines Bauern, fühlt sich aber zu höherem berufen und versucht kraft seines
Intellekts, die Leitern der Gesellschaft emporzusteigen. Schon früh hat er
eine aus der Sicht seines Vaters verderbliche Leidenschaft für Bücher
entwickelt, die er bei seinem Sohn mit körperlichen Gewaltakten zu
korrigieren versucht. Julien Sorel ist nach bäuerlichen Gesichtspunkten ein
Nichtsnutz. Da er jedoch vom örtlichen Geistlichen Latein gelehrt bekommen
hat und das alte Testament auswendig hersagen kann, gelingt es ihm, der
väterlichen Knute zu entfliehen und er findet eine Anstellung beim
Bürgermeister einer Kleinstadt, um dessen Kindern Unterricht zu erteilen.
Dies ist der Anfang einer Karriere, die schon im Voraus zum Scheitern
verurteilt ist. Julien Sorel weiss, dass die einzige Möglichkeit für ihn,
"etwas zu werden", der Weg durch die Kirche ist, obschon er
selbst nicht die mindeste religiöse Regung in sich verspürt.
Die einzelnen Fortschrittsstufen in seinem Bestreben zu beschreiben, wäre
hier müßig, dafür empfiehlt sich schließlich die Lektüre des Buches selbst,
was jedoch unbedingt Erwähnung finden muss, sind die beiden Liebschaften,
die Julien entwickelt und die in dem Roman eine zentrale Rolle spielen. Die
erste bringt ihn der Frau des Bürgermeisters näher, die zuvor noch nie
etwas wie Liebe verspürt hat, sondern in ihrer Heirat nur den
gesellschaftlichen Pflichten, die sie als Frau damals hatte, nachgekommen
ist. Später, als Julien bereits in Paris ist, macht er sich an die Tochter
seines neuen Arbeitgebers heran. Auch diese zweite Affäre lässt darauf
schliessen, dass Julien sich mit Vorbedacht Frauen erwählte, mit deren
Hilfe er im sozialen Gefüge höher steigen konnte. Wahre Liebe ist dabei
nicht zu finden. Als Julien seine erste Liebe zu töten versucht, setzt man
ihn gefangen und macht ihm den Prozess, auf den die Hinrichtung folgt.
"Rot und Schwarz" ist einer der hervorragenden Romane, die einen
Helden, ganz auf sich allein gestellt, in die Welt hinausschicken. Es ist
aber eine Welt, an der man nur zu Grunde gehen kann, wenn man ohne Halt
ist. Diesen Halt zu finden, hat Julien Sorel in seinen Beziehungen zu den
zwei Frauen gesucht. Beiden Konstellationen war verwehrt, dass sie ihn zum
Glück führen konnten. Die eine Frau war, wie wir bereits wissen,
verheiratet, die andere für einen gesellschaftlich hochstehenden Mann
"vorgesehen".
Am Ende des Buches wirft sich unweigerlich die Frage auf: "Wozu das
alles?". Es sind weder Geld, gesellschaftliches Ansehen, reichliches
Wissen und Macht, die uns tatsächlich voranbringen, d.h., die wir brauchen,
um einen Zustand der überwiegenden Zufriedenheit zu erreichen; das sind
alles nur Nebenschauplätze. Nicht gänzlich unwichtig, zur Not jedoch
vernachlässigbar.
"Rot und Schwarz" ist ein Handlungsroman von knapp 600 Seiten -
dabei ist es fast unvermeidlich, dass sich darin die ein oder andere Länge
findet, da die Intention des Werkes schon nach einigen Dutzend Seiten klar
umrissen ist; man weiss, wo es langgeht und wird dann nur noch mit
Ereignissen zugeschüttet. Besonders die Schilderung der Liebesverwirrungen
ist zuweilen recht anstrengend, aber es mag Leser geben, die sie genießen
werden.
Der Autor Stendhal, der eigentlich Henri Beyle hiess, war zu Lebzeiten
wenig erfolgreich, was das Verkaufen seiner Werke anging. Aber er liess
sich davon nicht beirren; er war von seinen Werken überzeugt, die erst
Generationen später von geistig weitergereiften Menschen wirklich geschätzt
werden sollten.
Nachruhm.