Mythen, so verrät es uns Pavese in seinen "Gespräche mit Leuko"
einleitenden Sätzen, sind Sammelbecken von Sinnbildern. Greift man auf
deren Inventar zurück, so wird es möglich, in einem halben Satz "einen ganzen Organismus der Leidenschaft, des menschlichen Seins,
einen ganzen Gedankenkomplex" zu nähren und zu beleben. Genau diesem Prinzip folgt "Gespräche mit
Leuko" in seinen 27 Dialogen, die allesamt in der griechischen
Mythologie angesiedelt sind. Nur selten finden diese Dialoge zwischen den
großen Olympiern statt, meist werden sie zwischen Titanen, Nymphen und
Kentauren, aber auch Hirten und Jägern geführt. Jedem Dialog steht eine
erläuternde Einleitung voran, die den Leser kurz über die mythologischen
Zusammenhänge informiert, denn "Gespräche mit Leuko" erfordert,
um es umfassend verstehen zu können, ein profundes Wissen der griechischen
Götterwelt. Aber auch wenn man über ein solches nicht verfügt, bleiben die
Dialoge keinesfall ohne Aussage. Ganz im Gegenteil.
Wozu aber sollte man sich als Leser in eine so komplexe Phantasiewelt
begeben? Ist das nicht alles in einer überschäumenden Maßlosigkeit
ersponnen worden? Gewiss, aber gerade darin liegt der Vorteil: Diese
Phantasiewelt ist ein Konstrukt, das die Wesen in die Sterblichen und
Unsterblichen unterteilt - und indem der Dichter die letztgenannten die
ersteren betrachten lässt, hat er sich einen künstlichen Standpunkt
geschaffen, von dem aus er das Leben objektiver erklären kann. Es sprechen Thanatos und Eros, es sprechen Herakles und Prometheus, es
sprechen Dionysos und Demeter - allein diese Vorankündigungen beschwören in uns, die wir von der
abendländischen Kultur geprägt sind, komplexe Vorstellungen und Ahnungen
herauf. Es ist ein Verdienst Paveses, dass er uns so an das kulturelle Erbe
der antiken Griechen erinnert, denn gleichwohl wir es in Leuko mit
Fiktionen zu tun haben, stellen sie doch eine Form des Wissens dar, die es
zu bewahren lohnt. In den Dialogen formen auch die Naturerscheinungen
höhere Sinnbilder, sind Blumen nicht nur Blumen, sind Steine nicht nur
Steine, ist Feuer nicht nur Feuer - alles ist mit tieferen Bedeutungen
angereichert. In solcherlei Transformationen hat die literarische Form des
Gedichts ihren Ursprung gehabt.
Es erübrigt sich fast, zu erwähnen, dass "Gespräche mit Leuko"
nur bescheidenen Erfolg beim literarischen Publikum hatte. Zu wenige
Menschen wollen tatsächlich das Leben ergründen, die meisten begnügen sich
damit, sich blind hindurchzuschwindeln. Was sollen sie also mit so einem
Buch wie Paveses anfangen?
Als es 1947 erschien, wagten sich nur zwei italienische Zeitungen daran, es
zu besprechen.
Zwei kleine Anekdoten sollen diese Rezension nun beschließen:
Neben seinen Erfolgen wie "Der Sommer" schickte Pavese noch zwei
Tage vor seinem Tod "ein Buch, das keiner liest und das natürlich das
einzige ist, das etwas taugt" an den französischen Übersetzer Nino
Frank: Gespräche mit Leuko.
Als man Pavese nach seinem Suizid auffand, entdeckte man ein Exemplar des
Buches auf seinem Nachttisch. "Ich verzeihe allen, und alle bitte ich
um Verzeihung. Ist es gut so? Macht kein Aufhebens davon." hatte er
auf seine erste leere Seite geschrieben.