Nach langer Zeit der Abstinenz habe ich die freien Tage zum Jahresende
einigermaßen sinnvoll genutzt und
ein Buch gelesen. Meine Wahl fiel auf "Berlin Alexanderplatz"
von Alfred Döblin (1878-1957), der Begründer
der wichtigen expressionistischen Zeitschrift "Der
Sturm" war.
"Berlin Alexanderplatz" gilt als der erste deutsche
Großstadtroman und steht in der Literaturgeschichte aus
inhaltlicher Sicht neben James Joyces
"Ulysses" und John Dos Passos´ "Manhattan Transfer".
Döblin erzählt die Geschichte des ehemaligen Transportarbeiters Franz
Biberkopf, der 1928 aus dem
Gefängnis entlassen wird, wo er eine Haftstrafe wegen eher versehentlichen
Totschlags seiner früheren
Lebensgefährtin verbüßte.
"Biberkopf hat geschworen, er will anständig sein, und ihr habt
gesehen, wie er wochenlang anständig ist,
aber das war gewissermaßen nur eine Gnadenfrist. Das Leben
findet das auf die Dauer zu fein und stellt
ihm hinterlistig ein Bein."
"Berlin Alexanderplatz" erscheint als ein beeindruckendes Abbild
des Berlins der 20er Jahre. Durch den
Einsatz der Berliner Mundart, die sich zuweilen sehr witzig
liest, gewinnt dieses Epos an Authenzität. Auch
in der sprachlichen und kompositorischen Gestaltung hat
sich Alfred Döblin sehr kreativ gezeigt. Er arbeitet
mit wiederkehrenden, leicht variierenden Motiven,
benutzt zwischendurch die Reimform, wenn es ihm
passend erscheint, verleiht seinem Werk Intensität
durch schwere Metaphern, wie z.B. der Schilderung des
Schlachthofgeschehens.
Die belehrenden Elemente in "Berlin Alexanderplatz" sind
glücklicherweise sehr zurückhaltend gestreut, so
dass sich der Leser ein überwiegend eigenes,
unbelastetes Urteil über die Schilderungen in dem Roman
bilden kann.
Besonders beeindruckend, das möchte ich abschliessend noch erwähnen, ist
die zum Teil sehr nihilistische
"irgendwie-ist-ja-doch-alles-egal"-Grundhaltung des
Protagonisten, die sich eigentlich eher als fröhliche Gleichgültigkeit
gegenüber dem eigenen Leben offenbart.