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© 1999-2024 by Arne-Wigand Baganz

Ukraine  Eine Reise durch die Ukraine in 113 Gedichten  Ukraine

Pränatale Konfusion

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Ich komme nicht raus, Euer Warten ist vergeblich, in den Wind geblasene Zeit. Oh, wie Ihr giert, mich zu greifen, doch ich bleibe, wo ich bin – in der Leibeskugel so schön warm.

Hier bin ich geschützt, versorgt, aber Ihr wartet auf mich in einer Welt, die ich nicht akzeptieren kann, mit kalten metallenen Instrumenten und weißen Kitteln.

Ja, wehe, die Wehen so weh. Nicht werdet Ihr mich kriegen, stecke meinen Körper nicht heraus in das fahle Licht und die Blickfelder der ungeduldigen Gesichter : geschäftig, routiniert und ruiniert.

 

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Manchmal hörte ich Euch streiten, laut und um nichts – nur damit Ihr Euch überhaupt noch etwas zu sagen hattet. Und denk an das Baby, soll es doch auch einmal gut haben, besser. Nach Stunden dann, wenn die Verzweiflung, das kriechende Elend, nicht länger konnte unterdrückt werden, die Stille gleich einem trockenen Fluch Euren Atem nahm, habt Ihr Euch ertränkt in den Gedankentötern, Gleichschaltern und mich dazu, bis mein Gehirn sich ausflockend denaturierte. Aber was sollen die guten Vorsätze – und denk an das Baby, das Baby.

Ich bin gewachsen, habe Dich gebeult, Deine Leibeskugel ausgeformt. Versteckt hast Du Dich unter weiten Kleidern und im Innern gelacht, wenn ich Dich mich hab spüren lassen.

Oft wart Ihr unterwegs und einkaufen – was das Baby alles so brauchen wird, auch wir wollen gute Eltern sein, habt eingekauft für mich, für Euch – damit ich es auch einmal gut habe : die Krabbelbox, den Spielkram, den Kinderwagen ... Wie ich mich darauf freue, aber ich komme nicht raus.

 

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Was Ihr alles anstellt, kann es nicht begreifen mit meinem Verstand, der schon vor der Geburt ersoffen. Den Bauch schneidet Ihr auf, Gottesschnitt ; wollt mich holen, um mich in Eure Trostlosigkeit zu zwingen : Elternglück.

Und ich lasse es geschehen, kann nicht länger verhindern, wovon Ihr alle so besessen : wollt mich besitzen, meine Wehrlosigkeit benutzen.

 

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Der blutbesudelte Arzt hält die Totgeburt in seinen Händen. Geringfügig später wird sie in dem für solche Fälle vorgesehenen Müllbehälter liegen.

Von einer unangenehmen Last befreit wird in wenigen Tagen die verhinderte Mutter zurück in ihrer verkommenen Wohnung ihren Kummer ertränken, sich mit ihrem Manne streiten – und ihren Kummer ertränken.

© 1999 by Arne-Wigand Baganz

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