Wenn man den Chopin-Flughafen in Warschau Richtung Innenstadt verlässt, begegnen einem Image-Poster, die das Land Polen in einem möglichst schönen Licht darzustellen suchen. Den harten polnischen Winter haben die Poster-Macher als Schwäche identifiziert, die man leider nicht ändern kann, aber mit der die Polen gut zu leben gelernt hätten. Natürlich sieht man das Poster auch, wenn man sich in umgekehrter Richtung bewegt. Seltsamerweise ist es das einzige Poster, an das ich mich in der Reihe erinnern kann, allerdings kann ich auch nach mehrmaligem Sehen nicht sagen, wie der genaue Wortlaut ist.
Als ich zuletzt in Warschau landete, zeigte das Thermometer jedenfalls 11 Grad im Minusbereich an. Der Pilot hatte im Flugzeug noch von 2 Grad im Plus gesprochen, dabei war ihm allerdings der Fehler unterlaufen, vom Start-Flughafen Berlin zu sprechen. Für den vorherigen Flug wäre seine Ansage also noch richtig gewesen.
Eines meiner ersten Ziele bei nämlichem Besuch war die Warschauer Altstadt. Es war wirklich sehr kalt an diesem Tag und ich bedankte mich bei mir selbst, so umsichtig gewesen zu sein, auch die Thermohose angezogen zu haben. In der Altstadt gelangte ich irgendwann auf einen unansehnlichen, aber durchaus faszinierenden Hinterhof. Die grünen Mülltonnen reihten sich aneinander, waren genauso mit Graffiti überdeckt wie die grauen, sich auflösenden Fassaden. Ein Eingangsschild über einem offenen Hauseingang versprach irgendeinen krassen Club. Ich trat ein, schon in der Hoffnung, interessante Fotomotive vorzufinden, sah aber nur Betonwände, die mit Graffiti überdeckt waren und dann auch schon die ersten Schlafsäcke. Hier hatten sich Obdachlose ein Nest gebaut. Manche sammeln Elende wie Trophäen, für meine Kamera ist das allerdings nichts, ich finde es pietätlos, aus Notleidenden eine Art Kapital zu schlagen. Ich verließ das Gebäude, wollte auch den Hinterhof verlassen, da sah ich draußen den nächsten Schlafsack in den Büschen. Wie konnte jemand bei diesen Temperaturen dort schlafen, ohne zu erfrieren? Ich war schockiert, erschüttert, tief berührt und den Tränen nahe. Dann sah ich, dass sich der Schlafsack manchmal bewegte. Der Mensch darin lebte also noch. Wie konnte das sein? Vielleicht lag er noch nicht lange da, bestimmt war er auch betrunken. Wer weiss. Ich schaute genauer hin. Erst da erkannte ich mit einer gewissen Erleichterung:
Der Mensch hatte seine Schlafstätte direkt vor der Öffnung eines Lüftungsschachtes eingerichtet, war aber selbst nicht zu sehen, so gründlich hatte er sich eingehüllt in verschiedene Stoffschichten und seinen Schlafsack. Vielleicht war es dort sogar wärmer als drinnen in dem angeblichen Club, der nicht beheizt war?
Es ist wirklich traurig, dass Menschen so durch den Winter kommen müssen, wenn sie es denn schaffen. Je nach Winter gibt es jedes Jahr Dutzende, manchmal 100, 200 Kältetote in Polen. Ob sie auf dem Poster am Flughafen auch an diese Zustände gedacht haben:
Der polnische Winter ist hart, aber die Polen haben gut gelernt, damit zu leben?