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Ukraine  Eine Reise durch die Ukraine in 113 Gedichten  Ukraine

Gasttexte > Zacke, Bruno

Du und Ich und das Schwein

Ich schreibe hier nicht, um Kunst zu machen. Wenn ich dies zufällig lese, vielleicht erst in ein paar tausend Jahren oder vor meiner Zeit, soll ich hier nicht nach irgend einer Bedeutung suchen, die jenseits der Worte liegt. Ich schreibe alles auf, damit ich lesen kann, wie es jetzt gerade ist.

Ich bin ein Mann. Ich heiße Ich. Ich hätte mich auch Adam oder so ähnlich nennen können. Ich könnte mich jederzeit Adam nennen, doch das klingt mir zu sehr nach einer alten ausgestorbenen Religion. Ich bin nicht religiös. Über Gott oder andere Vorstellungen von einer absoluten Instanz außerhalb meines Einflußbereiches, mache ich mir keine Gedanken. Damit habe ich nichts zu tun. Ich muß nicht an Gott, oder wie ich diese Instanz nennen soll, glauben. Ich habe sie bewiesen, um allen Religionen die Daseinsberechtigung zu entziehen. Das ist sehr lange her. Ich weiß nicht mehr, wann das gewesen ist. Ich habe es nicht aufgeschrieben. Ich möchte mich nicht mehr daran erinnern, was Religion ist.

Ich frage mich manchmal, ob ich das, was ich tue, bewerten muß. Ich kann ohne Wertmaßstäbe leben. Es gibt nur ein Gesetz und das erklärt sich von selbst. Ich darf das Leben nicht beenden, sonst gibt es mich nicht mehr. Ich habe alles so eingerichtet, daß ich leben kann. Viele Veränderungen haben sich zuerst zu meinem Nachteil ausgewirkt. Ich habe alle Zusammenhänge ohne Vorurteile untersucht und so lange geforscht, bis für mich keine Gefahr mehr bestand. Ich benutze die Worte schön und gut, richtig und wahr, häßlich und falsch, unwahr und schlecht, seit ich denken kann. Ich drücke damit Gefühle aus. Ich fühle, wenn etwas auf mein Handeln einen Einfluß ausübt. Mein Handeln ist frei. Meine Gedanken sich ebenfalls frei, solange ich nichts fühle.

Du bist du. Du bist die Frau. Du heißt Du. Ich hätte dich Eva nennen können. Aus den selben Gründen, warum ich nicht Adam heiße, habe ich dich nicht Eva genannt. Ich könnte dich anders nennen. Die vielen schönen Namen sind nicht vergessen. Ich habe sie aufgeschrieben, obwohl es keinen Grund dafür gibt. Weil nur du mich und dich gebären kannst und ich nicht mich und dich, wird es immer einen Unterschied zwischen uns geben. Du wirst niemals Ich heißen können. Damit mußtest du dich abfinden. Mein Leben wäre ohne dich frei von Gefühlen, wenn ich selber so bestehen und mich selber gebären könnte. Ich wäre absolut frei. Doch das ist nur ein Traum. Den Traum von der absoluten Freiheit habe ich immer wieder geträumt und jedes Mal endeten die Träume mit Enttäuschung. Dies war bereits ein gewisser Fortschritt, denn wie ich nachlesen kann, endeten meine Träume in den Zeiten davor unausweichlich im Unglück. Heute weiß ich, daß es keine wirkliche Freiheit gibt. Du weißt es auch. Freiheit ist bis zu einem relativen Grad möglich. Deshalb auf sie zu verzichten ist töricht. Das tue ich nur, wenn ich Kind bin und den unerreichbaren Charakter der Freiheit noch nicht begriffen habe. Wenn ich Kind etwas möchte, möchte ich es ganz haben. Wenn ich nur einen Teil davon bekommen kann, will ich Kind es gar nicht. Ich kann glücklich sein, weil ich nicht unzufrieden bin, wenn ich das verstehe. Auch du bist glücklich, weil dir der Unterschied zwischen dir und mir nicht ungerecht erscheinen muß, wenn du die genauen Zusammenhänge selber verstehen kannst.

Ich habe nun gesagt, was man wissen muß, um dich zu verstehen. Doch wie kann ich einmal sicher sein, ob du jetzt so warst, wie du mir erscheinst, wenn ich von dir lesen werde? Wie kann ich dich beschreiben? Ich habe es als Dichter versucht. Es ist Jahrtausende mißlungen, obwohl ich jedes Mal dachte, es wäre mir besonders gut gelungen. Nun erstelle ich Dokumentationen und muß an den Daten zweifeln, obwohl sie frei von meinem Einfluß sind.

Vielleicht werde ich mit der Zeit vergessen, wer ich bin, so wie ich vergessen habe, wer ich war. Ich habe schon immer versucht, Zeugnisse zu sammeln und für einmal aufzubewahren. Die Zeugnisse haben viele Zeiten überdauert. Doch je mehr Zeiten vergingen, desto weniger verstand ich, was ich einst schrieb, geschweige denn, daß ich noch verstand, was ich in Höhlen an Wände malte oder in Steine schlug, aufdaß es möglichst lange erhalten bleibt. Ich mußte viel forschen, um ein paar Zeichen zu verstehen, ohne mir eine Vorstellung machen zu können, wer ich war. Ich habe inzwischen Möglichkeiten gefunden, die über alle Zeiten Bestand haben, doch werde ich verstehen, was ich jetzt schreibe?

In alten Aufzeichnungen lese ich oft, wie ich zweifele, ob ich später einmal mich oder meine Vergangenheit verstehen werde. Ich werde vieles, was mir berichtenswert erscheint, einmal nicht mehr kennen.

Ich weiß nicht mehr wirklich, was Krieg ist, weil ich mir so etwas Sinnloses nicht vorstellen kann. Der letzte Krieg vor langer Zeit, den hast du gegen mich geführt. Es soll dabei viel Leben von mir und von dir verschwendet worden sein. Heute sterbe ich nur, weil ich nicht weiter leben kann oder du stirbst manchmal, wenn eine Geburt von dir oder von mir zu schwer ist. Dafür sterben wir schöne Tode, ohne Gefühl. Kein Schmerz, kein Abschied. Es ist wie wenn der Wind ein Staubkorn vom Boden aufwirbelt. Ich werde leicht und fliege irgendwo hin. Wie kommt dir das Sterben vor? Neulich hast du sterbend ein besonders schönes Gedicht geschrieben:

Schwein und Edelstein:

Wenn das Schwein
mich erst vergißt
wird edler Stein
von mir vermißt.

Das Schwein! - Fast macht es mich ein wenig melancholisch oder ist es nur ein Gefühl? Es wäre eine längere und ausführliche Erörterung wert. Es nährt dich und mich und leistet dir und mir Gesellschaft. Ich werde nur Wesentliches aufschreiben und nicht der Sentimentalität verfallen.

Ich hätte das Schwein Cäsar, Felix oder Peterle oder noch anderes nennen können. Nicht aus jenen Gründen, wegen denen ich nur Ich heiße und du nur Du heißt, habe ich dem Schwein keinen Namen gegeben. Du hast es einmal Liebling genannt. Wann hast du mich zuletzt so genannt? Es muß in einer alten Zeitrechnung gewesen sein. Doch ich schreibe nicht von dir, wenn ich über das Schwein schreibe.

Das Schwein hat bis zu diesem Tage eine sehr wechselvolle Geschichte hinter sich gebracht. Es mußte lange mich und dich gebären. Davon bin ich abgekommen. Es hat meistens ohne Probleme geklappt, doch wenn es nicht geklappt hat, gab es Mißgeburten und die Entscheidung, ob diese getötet oder gegessen werden sollten, war nie leicht. Ich habe mich unterschiedlich entschieden. Jedes Mal mit Skrupeln, denen ich nicht ausweichen konnte. Deshalb beschloß ich, daß du wieder deiner ursrünglichen Natur gemäß gebären sollst. Du warst zuerst dagegen, weil du um deine Emanzipation fürchtetest.

Das Schwein ist ein Tier. Was ein Tier ist, wird immer mehr zu einer philosophischen Frage. Die Unterschiede zu mir oder zu dir sind nicht sehr prinzipiell. Früher habe ich mich gegen solche Gedanken gewehrt. Ich behauptete eine andere Herkunft. Heute weiß ich, daß das Leben einen Ursprung hat. Wenn ich die geometrische Form der Knochen vom Schwein nur wenig ändere, habe ich schnell ein Tier, das genauso aussieht wie ich. Mit etwas Geschick wird es so hübsch wie du. Hast du nicht irgendwann behauptet, das Schwein sähe besser aus als ich?

Das Schwein lebt mit uns. Es kann nicht sprechen, doch wir sprechen mit ihm. Das Schwein kann besser zuhören als du. Es hat sein eigenes Zimmer, ist aber meistens bei uns. Es bleibt, wenn Ich sage, "Bitte bleibe!". Es bleibt, wenn du es sagst. Das Schwein ist stubenrein. Einmal an Tag wird in seinem Zimmer sein Darm ausgepumpt. Das dauert zwei Minuten. Es passiert leise und riecht nicht. Der Kot wird im Apparat sofort verwertet. Noch enthaltene Nähr- oder Ballaststoffe werden extrahiert und fallen als hygienische Knusperstückchen an der Seite wie bei einem nostaligischen Kaugummiautomaten heraus. Das Schwein frißt diese sofort. Danach müssen die Krümel vom Teppich gestaubsaugt werden. Darum hat es sein eigenes Zimmer. Der Rest des Kots wird zu reinem Kohlenstoff verdichtet. Dabei ist einstellbar, ob mit der Zeit ein großer Kristall wachsen soll oder ob es viele kleine gibt. Du besitzt auch ein paar große.

Kristalle werden nicht nur aus Kot gemacht. Bevor ich verwese, bin ich ein Kristall. Ich weiß kaum noch, wie viele Kristalle es bereits gibt. Vielleicht mehr als Sterne. Alle meine Paläste hab ich aus solchen Kristallen erbaut. Meine Hochhäuser sind unendlich hoch. Das oberste Zimmer im höchsten, ängstigt mich manchmal ein wenig. Ich kann den Grund, auf dem der Bau steht, nicht sehen. Dem Schwein ist das egal und du warst nie dort. Zu deiner Sicherheit. Du darfst den Boden nie aus den Augen verlieren. Nach meinen Berechnungen braucht das Gebäude drei bis fünf Tage zum Einstürzen. So kannst du von da, wo du bist, jederzeit der Gefahr entrinnen. Das Schwein hingegen weicht mir nie vom Fuß, und sei die Gefahr noch so groß.

Das Schwein ist nicht einfach nur ein Tier, es ist das Tier. Früher soll es viele Tiere gegeben haben. Sie sollen unterschiedlich gewesen sein. Das Schwein war früher ein anders Tier. Heute besitzt es die besten Eigenschaften verschiedener Tiere, von denen es keine Bilder mehr gibt. Katze, Goldfisch, Hund, Papagei, Pferd und Schmetterling. Es gibt mir und dir Milch und Fleisch, Eier und Ferkel. Das Ferkel lebt wenig, darum bräuchte es keinen Namen. Ferkel schmeckt gut und ist schwierig zu beaufsichtigen. Das Ferkel muß wie ich oder du gewindelt werden. Das Ferkel lebt, wenn das Schwein geschlachtet wird. Das Ferkel heißt Ferkel, solange es noch lernt, Schwein zu sein. Du heißt Kind bis du gelernt hast, Du zu sein. Ich heiße Kind bis ich Ich bin. Das ist manchmal schwer zu verstehen obwohl ich sehr bald sehen kann, wer ich bin. Ich Kind sehe genau wie Ich aus. Ferkel sieht bald genau wie Schwein aus. Du bist schön, du wirst immer so schön sein. Bei dir Kind erkennt man das besonders deutlich.

Ich möchte ein wenig darüber nachdenken, wie die Zukunft aussehen könnte. Ich las neulich einen sehr alten Bericht. Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie damals alles war. Daß es einmal wieder so würde, möchte ich nicht.

Ich hatte in diesem Bericht verschiedene Namen. Ich hielt jeden Teil von mir für mich, weil er einen anderen Namen trug. Ich stritt mit mir darum, ganz ich zu sein. Jeder Teil von mir sah anders aus. Welche Unordnung muß damals geherrscht haben? Jeder suchte nur nach seinem Glück. Keiner fand es wohl, sonst wäre es heute noch so. Du warst nicht besser. Du warst genauso uneinheitlich und weit entfernt von deiner heutigen Makellosigkeit. Wenn damals ein Lebensteil von dir oder von mir starb, benahm sich dieser so, als wäre die Welt zu Ende. Aus dieser Zeit soll das Wort Individualität stammen und es hatte eine große Bedeutung. Alles was ich darüber nachlesen kann, ist leider blanker Unsinn. Trotzdem blicke ich nicht verachtend auf diese Zeit zurück. Es ist meine Geschichte. Es waren meine Schritte zu deiner und meiner Vollkommenheit. Bereits damals habe ich die dafür notwendigen wissenschaftlichen Grundlagen entdeckt. Natürlich ist Vollkommenheit kein Stillstand.

Da ich mich immer wieder selbst verändere und sich somit meine Sicht der Wirklichkeit verändert, frage ich, ob diese Entwicklung trotz aller Vorsicht nicht eines Tages außer Kontrolle geraten könnte. Dabei habe ich keine Angst um mich. Vielleicht habe ich Angst um das Schwein, weil es am wenigsten Einfluß hat und alles tapfer erträgt. Das Schwein ist gutmütig und treu und verständnisvoll. Ohne Schwein wäre das Leben nicht lebenswert, selbst wenn es ohne ginge. Es gab Zeiten, da habe ich Pflanzen gegessen. Es gab viele Pflanzen. Heute gibt es nur Sauerampfer, wenn mal wo was wächst. Nichtmal das Schwein verträgt diese Blätter. Ich könnte sie wieder essbar machen oder ich finde ein paar alte Sequenzen von Pflanzen, die ich aß. Doch dann müßten viele davon wachsen und ich bräuchte wieder mehr Wasser und es würde wieder dauernd regnen. Das Schwein wäre traurig, weil ich es nicht mehr brauche.

Um dich habe ich keine Angst. Du bist viel wichtiger als ich, seitdem du wieder gebärst. Ich kann meinen Samen längst außerhalb meines Körpers in beliebigen Mengen und in höchster Reinheit herstellen. Wozu brauchst Du mich? Es ist zu riskant, dich zu schwängern. Wenn ich als mißlungenes Kind überleben täte, könnte dies mich um Epochen der Entwicklung zurückwerfen. Du allein wärest genug, um das Leben weiter durch die Zeitalter zu tragen und du bräuchtest nur dich gebären. Vielleicht werde ich einmal dafür sorgen, wenn ich mir sicher sein kann, daß du immer gebären wirst. Das Leben darf nie enden. Das weißt du doch.

Ich bräuchte nicht ganz aus deinem Leben verschwinden. Ich könnte meine wichtigsten Gene in das Schwein einbauen. Doch dann müßtest du mich essen. Vielleicht könnte ich mich daran gewöhnen. Ich habe mir vorgestelt, wie das ist. So unangenehm war das nicht. Ich weiß aber nicht, ob es dir angenehm ist. Wenn ich dein Schwein wäre, könnte ich auf mein Geschlecht verzichten, was das Schwein schon lange tut. Ich wäre kein Mann, nur Schwein.

Denke ich diese Möglichkeit der Entwicklung zu Ende, erscheint es mir sinnvoll, daß auch du eines Tages deine Gene in das Schwein einbaust. Vielleicht ist dies die Vorbestimmung des Lebens. Vielleicht fängt damit die Entwicklung einer noch höhere Lebensstufe an, die ich heute noch nicht verstehe. Es gibt gute Gründe, daß ich stets nur in die Vergangenheit und niemals in die Zukunft schauen konnte. Das meiste hätte mir unnötige Angst gemacht und den Fortschritt gefährdet. Dabei kam das meiste anders, als ich es mir hätte vorstellen können. Ich kann aus der Geschichte nur lernen, für die Zukunft offen zu sein und das Leben als das Einzige und Wertvollste zu erkennen, was ich besitze.

Ewigkeit so edel:

Edles Schwein
nicht Kristall
werd ich sein.

BrunO Zacke´s ufocomes

© 2003 by Zacke, Bruno