Nikolai Ostrowski (1904-1936) war ein früher Sympathisant der Russischen
Revolution und trat bereits im Jahre 1919 dem Komsomol, der kommunistischen
Jugendorganisation, bei. Auf der Seite der Roten Armee kämpfend, wurde er
1920 schwer verwundet. In den darauffolgenden Jahren verschlechterte sich
sein Gesundheitszustand stetig, so dass er bald nur noch vollkommen
erblindet im Bett liegen konnte. In dieser Lage verfasste Ostrowski seinen
größtenteils autobiographischen Roman "Wie der Stahl gehärtet
wurde", der 1932 erstmals im Druck erschien und wenige Jahre später in
überarbeiteter Fassung in einer Massenauflage von 100.000 Exemplaren unter
das Sowjet-Volk gebracht wurde.
Positiver Held des Romans ist Pawel Kortschagin, auch Pawka genannt, der
eine dunkle Kindheit im zaristischen Russland durchlebt und sich bald den
lichten Reihen der roten Revolution anschließt. Pawka hat für den
heranwachsenden Menschen im bolschewistischen System Vorbildfunktion: Er
entwickelt sich vom unpolitischen Raufbold zu einem entschiedenen Kämpfer
für die Sache - und das bis zur völligen Selbstaufgabe, bis zur Ruinierung
seiner physischen Gesundheit. Pawka lebt allein für die kommunistischen
Ideale, den Aufbau der neuen Gesellschaft. Aber was war diese neue
Gesellschaft? Eine totalitäre Diktatur, die vor allem durch eine
nachholende industrielle Modernisierung mit politisch-religiösem Schmuck
gekennzeichnet gewesen ist. Das herauszustellen, ist natürlich nicht das
Anliegen des Romans.
Pawka ist nicht ganz ohne Schwächen: Er neigt zum Fluchen, zu spontanem
Handeln und oft auch handfestem Draufschlagen - in ihm kämpft also immer
wieder der alte Raufbold vom Lande gegen den idealtypischen Bolschewisten.
Diese Schwächen, diese inneren Widersprüche, sorgen dafür, dass Pawka als
literarische Figur dem Leser nicht vollkommen unrealistisch erscheint, denn
schließlich muss auch ein Propagandawerk, wie es "Wie der der Stahl
gehärtet wurde" zweifelsohne ist, ein Mindestmaß an Glaubwürdigkeit
aufweisen.
Der ehemalige kommunistische Funktionär Wolfgang Leonhard hat uns einen
guten Einblick in die begeisternde Wirkung des Ostrowski-Romans auf die
sowjetische Jugend gegeben:
"Ich hatte schon sehr viel über Komsomolzen gelesen, von ihren
heroischen Taten in der Revolution, im Bürgerkrieg und im ersten
Fünfjahresplan, vor allem hatte mich das Buch von Nikolai Ostrowski 'Wie
der Stahl gehärtet wurde' tief beeindruckt, jener Komsomolzen-Roman, der so
viele sowjetische Jugendliche beeinflusste, an dem sie sich aufrichteten,
wenn sie Zweifel hatten und aus dem sie neue Zuversicht schöpften, neue
Kräfte und neue Energien." (Wolfgang Leonhard: Die Revolution entläßt ihre Kinder. Leipzig 1990,
S.72.)
Eben wegen dieser von real-sozialistischen Regierungen gewünschten
positiven Wirkung auf die Jugend war "Wie der Stahl gehärtet
wurde" auch in der DDR für alle 8-Klässler Pflichtlektüre, also genau
in einer Entwicklungsphase, in die auch die Jugendweihe und ernsthaftere
Gedanken über die künftige Gestaltung des eigenen Lebens fielen. Die Figur
des Pawka konnte und sollte den Jugendlichen Leitbild aber auch eine
Mahnung sein, denn schließlich resümiert sie zum Schluss ihres Lebens
selbstkritisch, und dabei wird augenscheinlich eine Schablone, die Lenin
vorgegeben hat, benutzt:
"Trotzdem sind wir manchmal verschwenderisch mit unseren Kräften. Und
darin liegt, wie ich jetzt begriffen habe, weniger Heroismus als
Spontaneität und Verantwortungslosigkeit. Erst jetzt habe ich angefangen zu
begreifen, daß ich keinerlei Recht hatte, so brutal mit meiner Gesundheit
umzugehen. Es hat sich herausgestellt, daß das gar kein Heroismus war.
Vielleicht hätte ich ohne dieses Spartanertum noch einige Jahre
durchgehalten. Kurz, die Kinderkrankheit, der Radikalismus - das ist eine
der Hauptgefahren in meiner Lage".
Was wohl die westliche Jugend in einer Lebenswelt, die von Klingeltönen,
Cyberspielchen und Multiplex-Kinos geprägt ist, heutzutage von dem
Ostrowski-Roman hält? Ganz sicher gar nichts.