"Nicht Menschen sollte man umbringen, sondern die Ordnung, und
umbringen sollte man sie in den Gehirnen der Menschen." (Schitkow, Boris: Wiktor Wawitsch. Reinbek bei Hamburg, 2005. S. 863.)
Wiktor Wawitsch: Ein Polizist, ein Roman. Der Autor: Boris Schitkow. Zeit
und Ort der Handlung: das revolutionäre Russland um das Jahr 1905.
Studenten und Arbeiter in ewiger Unruhe: Streiks, Aufläufe, nächtliche
Flugblattaktionen, Demonstrationen. Dazu der Krieg gegen Japan: Die
Zarenmacht schwankt, wehrt sich mit staatlichem Terror: peitschenden
Kosakeneinheiten, schießenden Polizisten und folternden Ochrana-Leuten. Ein
grausamer Wirbel. Darin eben jener Wawitsch, nicht all zu hell im Kopf,
aber dienstbeflissen, erst seit kurzem dabei, kann anpacken, kann
draufhauen wie es sich eben gehört. Der Vater hatte ihn gewarnt, der
Polizeidienst sei nichts für ihn... Aber einer muss ja diese Arbeit tun.
Die Ordnung bewahren und so. Ein Staat braucht solche - wie auch die fahlen
Stempeldrücker auf ihren miefigen Beamtenstühlen. Machen schön ihre Arbeit.
Eigentlich hätte "Wiktor Wawitsch" spätestens 1941 - also drei
Jahre nach dem Lungenkrebstod seines Autors - erscheinen sollen, aber der
Zweite Weltkrieg kam dazwischen und die kommunistischen Zensoren hatten
kein gutes Urteil über das Buch gefällt. Schwafelten von Anarchismus,
falschem Klassenstandpunkt und dergleichen. Die bereits gedruckte
Erstauflage wurde daraufhin wieder eingestampft, so dass der Wawitsch -
zwischenzeitlich in Vergessenheit geraten - erst 1999 ein breiteres
Publikum erreichen konnte. Die deutsche Übersetzung wurde im Jahre 2003
vorgelegt und von der Kritik überschwänglich gelobt: "Ein Meisterwerk
... ein zeitloses Opus magnum" (Die Zeit). Zurecht, wie ich meine.
Anders als Maxim Gorki in seiner bekannten "Mutter" (1907), wo
die Geschehnisse der ersten russischen Revolution unter Opferung der
schriftstellerischen Aufrichtigkeit quasi-religiös verbrämt werden, oder im
monumentalen "Klim Samgin" desselben Autoren, welches sich in
langatmig-faden Übergrübeleien und letztlich giftigem Gutmenschentum
verliert, hat Schitkow ein lebendiges Bild der Zeit - um nicht das
anmaßende Wort realistisch (wer könnte darüber heute noch entscheiden...)
zu gebrauchen - aufs Blatt geworfen. Es holpert, rummst und blitzt. Welch
eine (Lese:)Freude! Dass auch der Kommunismus tot ist und dieses Buch, das
zwischen 1929 und 1934, also der Zeit vor dem großen stalinistischen
Terror, entstand, gerettet werden konnte. Vielleicht zu spät? Kann keiner
sagen. Die Geschichte wäre sicherlich kaum anders verlaufen. Aber bei
Schitkow kann man etwas über die Geschichte lernen, weil es die
Kontinuitäten von Unrecht, staatlicher Allmacht und Unfreiheit vom
zaristischen zum sowjetischen System in jedes Lesers Augen springen lässt.
Klar, auch zum post-sowjetischen. Soll nicht verschwiegen werden.