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© 1999-2025 by Arne-Wigand Baganz

Ukraine  Eine Reise durch die Ukraine in 113 Gedichten  Ukraine

Städtische Begegnung II

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In meiner Mittagspause gehe ich mit meinen Gedanken beschäftigt auf dem Bürgersteig, da rollt mir ein flacher, silbergrauer Wagen langsam und fast geräuschlos auf der Straße entgegen. Als er meine Höhe erreicht, hält er. Ich sehe, dass das rechte vordere Fenster komplett heruntergelassen ist, obwohl die Lufttemperatur im Moment nur 7 Grad beträgt. Aus dem Fenster spricht mich ein Araber an, der eine Kufiya trägt, die nur wenig von seinem freundlichen Gesicht freigibt. Er sitzt allein in diesem Rechtslenker und will von mir wissen, ob ich Englisch sprechen kann. Freilich kann ich das. Es gibt ja Tage, an denen ich mehr Englisch als Deutsch spreche. Ich trete näher an den Wagen heran. Was kann dieser Mann, der in der linken Hand ein Smartphone hält, von mir wollen? Wenn er eine Straße sucht, wird ihm das Gerät verraten können, wo sie liegt, vorausgesetzt, er hat auch Daten. Aber die Sache löst sich sogleich auf. Der Mann mit seinen leuchtenden braunen Augen erzählt mir, dass er aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, und zwar aus Dubai, käme. Sicherlich nicht mit diesem Wagen, denke ich mir. Er sei Moslem und habe ein Problem. Mit den Fingern seiner rechten Hand weist er auf den für mich gut einsehbaren Benzinfüllstandanzeiger. Die orange Nadel zeigt auf Null. Er muss tanken, sagt er mir. Ich verstehe, aber weiss nicht, wie ich ihm helfen kann. Ich habe gar keine Ahnung, wo hier die nächste Tankstelle ist, doch darum geht es ihm gar nicht. Von einem seiner Finger nimmt der Mann nun einen mächtigen goldenen Ring und hält ihn aus dem Auto, als sollte ich ihn mir greifen. Ich bin verwundert, was soll ich mit diesem Ring, will ihn der Mann mir etwa schenken? Er erklärt es mir wenig später: Er habe kein Geld und würde mir diesen Ring gern verkaufen. Ich brauche diesen Ring nicht, und ich habe auch kein Geld bei mir, aber der Mann schaut zielgerichtet auf meine ausgebeulte Jackentasche, in der sonst mein Portemonnaie steckt. Woher weiss er das, nur anhand der Beule? Aber selbst wenn ich gerade Geld bei mir hätte, dann wären es vielleicht 50 Euro. Zum Tanken würde das reichen, aber der Ring, der mir angeboten wird, ist sicherlich 2000 Euro wert.

Noch immer hält mir der Mann den goldenen Ring hin. Er dreht und wendet ihn ein wenig. Dieses Stück Metall sieht aus wie eine riesige runde Mutter, sie sieht nach ziemlich viel Ärger aus. Warum hat der Mann kein Geld, warum will er ein für ihn so schlechtes Geschäft eingehen? Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er es sich einfach leisten kann, möglicherweise sogar witzig findet, aber es könnte auch anders sein. Gehört der Ring etwa einem anderen Mann, der vielleicht gerade tot bei ihm im Kofferraum liegt, oder erlebe ich gerade nur eine Masche, die der Mann im Auto sich ausgedacht hat, um Männer aufzugabeln, die materiellen Lockungen nicht widerstehen können? Und wenn ich auf sein Angebot eingehen könnte und sollte: Würde ich am Ende selbst im Kofferraum seines flachen, silbergrauen Wagens liegen? Und wenn ja: In wie vielen Teilen? Wie wäre der Ablauf bis dahin, würde er einen guten Plot für eine Schreckgeschichte abgeben? So viele Fragen – und keine Antworten! Es ist doch absurd, denke ich mir, diese ganze Situation ist absurd. Läuft auf dem Smartphone des Mannes nicht doch die Kamera mit, und wird er anschließend versuchen, mich zum Gespött seiner Follower zu machen? Ist er für einen Geheimdienst unterwegs und hat sein Budget überschritten: Das Bargeld ist ihm ausgegangen, Kreditkarten darf er nicht benutzen? Oder führt er für seine Regierung ein soziologisches Experiment durch, um in der Praxis zu sehen, wie Muslimen in einer Notlage in Deutschland geholfen wird? Tut mir leid, ich kann ihm nicht helfen, in dieser hypothetischen Studie werden wir allein meinetwegen schlecht abschneiden, ich werde am Ende auch nicht im Kofferraum des Wagens liegen, und für das Problem des Mannes wird es sicherlich eine andere Lösung geben.

In meiner Verwirrung sage ich dem Mann am Ende danke. Danke sagen passt immer, auch wenn es nicht passt, und es ist ja gut, wenn etwas passt. Der Mann schaut mich nun genauso verwirrt an wie ich es längst bin. Das freut mich sogar ein bisschen. Er sieht, dass er alles versucht und nichts erreicht hat und fährt jetzt ganz langsam weiter, ohne sich zu verabschieden. Ich wende mich nach ein paar Sekunden um und sehe das Nummernschild. WW. Das steht für Westerwald, erfahre ich zu Hause beim Nachschlagen.

Am Abend werde ich diese kleine Großstadtgeschichte aufschreiben – und Du wirst sie irgendwann gelesen haben. Danke.

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