Wenn ich hier von Ping-Pong schreibe, denke ich nicht unbedingt an das
berühmte Tischspiel, sondern vielmehr an eines der ältesten Spiele des
Lebens. Man kann es Ping-Pong nennen oder Aktion-Reaktion: Man begeht eine
Handlung und wartet auf das Echo, das diese in der Welt hervorruft. Ich
werfe einen Stein ins Wasser und beobachte, wie er in der Luft fliegt, bis
er die Wasseroberfläche berührt, in das Wasser eintaucht, verschwindet und
sich Kreiswellen auf der Wasseroberfläche bilden. Ich berühre eine Saite
eines Instruments und lausche, wie ein Ton schnell anschwillt, gehalten
wird und allmählich wieder verklingt.
Auch im Zwischenmenschlichen spielen wir andauernd dieses Spiel: Wir äußern
etwas und beobachten, wie andere auf unsere Äußerung reagieren. Vielleicht
reagieren sie gar nicht, und das kann ja die unterschiedlichsten Gründe
haben, dann sind wir mitunter verblüfft, irritiert und möglicherweise auch
schon ein wenig verärgert.
Manche haben gelernt, verstörende bis extreme, also laute und schrille
Pings zu senden, weil es ihnen egal ist, wie das Pong ausfällt, Hauptsache,
es kommt ganz sicher. Nichts ist schlimmer für diese Leute, als nicht
beachtet zu werden, deswegen sind sie bereit, zu Mitteln und Inhalten zu
greifen, vor denen andere klugerweise zurückschrecken. Besonders gefährdet
scheinen – und das sage ich als von zahlreichen Messern und Töpfen
anerkannter Küchenpsychologe – sind Menschen, die nie wirklich geliebt
worden sind, die eine große Herabsetzung aus einem bedeutenden öffentlich
sichtbaren Amt erleben haben oder die in ihrem Ehrgeiz nach externer
Anerkennung, die im Prinzip ja wieder eine Sehnsucht nach dem Geliebtwerden
ist, ein bestimmtes Erfolgslevel nicht überschreiten konnten und sich
dadurch herabgesetzt fühlen.
Soziale Medien: Möglichst viele Interaktionen
Auch die großen sozialen Medien sind nach dem Prinzip des Ping-Pong
aufgebaut: Jeder Nutzer soll dazu angehalten werden, möglichst viele Pings
(Inhalte jeglicher Art) und Pongs (Reaktionen wie Likes etc.) zu
generieren, damit die Plattformen nie zur Ruhe kommen und immer neue
Aktion-Reaktion-Ketten erzeugt werden, die dazu führen, dass Nutzer mehr
und mehr Zeit auf den Plattformen verbringen. Die Quantität der Ereignisse
ist Trumpf, und alles ein großer Strom, der an einem in einer gnadenlosen
Geschwindigkeit pausenlos, rund um die Uhr vorbeirauscht, so lange man mit
dem Internet verbunden ist. Emotionen gehen als teilbare Inhalte verpackt
immer ganz gut, besonders, wenn sie Mitleid, Abscheu oder ähnlich starke
Gefühle erregen. Ein weitergereichtes Video, das man mit einem markigen
Spruch versieht, kann Hunderttausende erreichen, und ein netter
Schnappschuss mit dem Handy ist in Zahlen oft mehr wert als der Link zu
einem durchdachten Artikel, über den man sich zwei Wochen den Kopf
zerbrochen hat, weil einem die meisten im sozial-digitalen Hamsterrad (wenn
überhaupt) nur ein paar Sekunden Aufmerksamkeit schenken können, bevor sie
zur nächstbesten Microsensation eilen. Überhaupt geht es sehr viel um abstrakte Zahlen – und letztlich um
Sucht.
Gefangen in Ping-Pong-Spiralen
Die großen kommerziellen sozialen Medien können einen süchtig machen, weil
sie einen ganz bewusst in Ping-Pong-Spiralen hineinziehen. Man muss sich
klar werden: Weniger ist oft mehr, und das ist vielleicht wirklich einer
der großen Vorzüge von Mastodon bzw. dem Fediverse: Die Betreiber haben per
se nichts davon, dass die Nutzer der Angebote von ihnen abhängig werden,
und daher haben sie auch viel weniger Mechanismen eingebaut, die darauf
abzielen, eine solche Sucht zu erzeugen, die nur wenig gutes bewirkt und
vor allem eine große Zeitverschwendung ist. Natürlich haben soziale
Netzwerke auch ein paar sehr offensichtlich gute Seiten: Man lernt
bestimmte Leute kennen und erreicht diese mit seinen Botschaften, was im
realen Leben eher schwierig wäre: Ein prominenter deutscher Politiker liked einen Beitrag, den man verfasst hat, ein ukrainischer Buchautor, dessen
Bücher man in der Vergangenheit besprochen hat, wird zu einem Follower – man hilft, einen Versprecher, der bei Anne Will geschehen ist,
aufzuklären oder lässt sich von Anna Netrebko wegen eines Kommentars, den
man auf Russisch verfasst hat, blockieren, weil man sie darin auf den
russischen Krieg gegen die Ukraine anspricht, während sie in ihrem eigenen
Beitrag darüber ihr wundervolles Jahr 2022 gefeiert hat, ohne den Krieg
auch nur mit einem Hauch zu erwähnen. Das kann alles ganz nett und anregend
sein, allerdings ist es auch ziemlich oberflächlich und man darf sich ruhig
öfter fragen, welchen Wert es wirklich hat. Ist die Nutzung von Social
Media mehr als nur ein globales, digitales Rattenrennen, in das sich ja
auch gern böswillige Akteure wie Diktaturen oder politische Extremisten
bewusst und mit manipulativer Absicht einmischen?
Das Füttern kapitalistischer Teufel
Es gibt sicherlich etliche Ausnahmen, also Menschen, die guten originären
Content produzieren, aber im Schnitt findet man beispielsweise auf X /
Twitter dann doch nicht allzuviel Kreativität: Leute erzählen, was 1000
andere Leute schon 1000 Mal vor ihnen gesagt haben, sie kopieren und
iterieren andere Beiträge, sie füttern ihre Follower mit Übersetzungen aus
Sprachen, welche die Follower heute in ähnlicher Qualität auch maschinell
übersetzen lassen könnten. Es ist ein großer Zirkus, bei dem man immer
schnell am Drücker sein muss, wenn irgendetwas auf der Welt passiert, um
davon zahlenmäßig zu profitieren. Aber was bringt uns das ganze Schauen auf
die größeren und kleineren Zahlen, das unablässliche Produzieren von häufig
banalen Pings? Wir sind abhängig von den in Zahlen ausgedrückten Pongs,
weil wir unser schnell vergängliches Glück, unser kurzfristiges
Wohlbefinden davon steuern lassen. Die großen sozialen Netzwerke haben ein
wesentliches Schema, mit dem wir uns in der Welt orientieren, bewegen und
mit ihr interagieren, kommodisiert und schlachten es für ihre Zwecke aus.
Unsere Interaktionen füttern schließlich kapitalistische Teufel, die immer
mächtiger werden, während wir uns von ihnen durch Algorithmen zu bestimmten
Verhaltensweisen bewegen und teilweise sicherlich sogar steuern lassen und
so selbst immer ohnmächtiger werden, dabei ist es doch eine wichtige
Entwicklungsaufgabe, dass wir lernen, uns aus der Abhängigkeit vom Pong zu
lösen – um schrittweise immer etwas glücklichere Menschen zu werden.