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Wie weiter in der Ukraine?

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Brücke in Tschernihiw, Ukraine (2021)

Russland hat am 24.02.2022 einen verbrecherischen Krieg gegen die Ukraine gestartet. Was wird die Zukunft bringen?

“Все буде добре” (“Alles wird gut”) heißt eines der Lieder, die ich in diesen schrecklichen Tagen manchmal höre. Es stammt von einer der populärsten ukrainischen Bands: Okean Elzy. Sie wurde bereits 1994 in Lwiw (Lemberg) gegründet und hat inzwischen zahllose Klassiker eingespielt. Noch kurz vor dem jetzigen Krieg Russlands gegen die Ukraine gab ihr immer gesellschaftlich engagierter Sänger Swjatoslaw Wakartschuk ein kostenloses Konzert auf der erst 2019 eingeweihten neuen Glasbrücke in Kyjiw, um die Stadtbewohner in der bedrohlichen Lage, die sich damals schon mehr als deutlich abgezeichnet hat, aufzumuntern.
Man musste jeden Tag mit dem schlimmsten rechnen.

Das schlimmste ist – wie wir wissen – inzwischen eingetroffen: Russland ist erneut in die Ukraine einmarschiert und führt dort einen verbrecherischen Krieg, der sich vor allem auch gegen die Zivilbevölkerung und ihre Infrastruktur richtet.

Es sind fürchterliche Umstände, in denen viele Menschen außerhalb der Ukraine das erste Mal umfassender von diesem Land, seinen Menschen und Städten erfahren. Die Katastrophen von 2014, der Raub der Krim, die partielle Besetzung des Donbass durch Russland haben viele in Deutschland noch leichtfertig abgetan, leider sind sie dabei oft der russischen Propaganda auf den Leim gegangen, und Unverbesserliche tun es noch heute: Sie hätten gern wieder ihre Ruhe, um sich ungestört mit den schönen Dingen ihres Lebens beschäftigen zu können.
“Soll die Ukraine doch die Waffen niederlegen”, sagen sie, “und Putin geben, was er will, dann hört auch das Morden auf!”. Diese kurzsichtigen und kaltherzigen Menschen machen mich nach wie vor fassungslos. Das tragische ist: Nicht alle sind durchweg Idioten. Was könnte ich zu ihrer Verteidigung sagen? Vielleicht kennen sie die Ukraine nicht und übernehmen deswegen die Perspektive des russischen Täters? Vielleicht haben sie diese russischen Märchen zu lange erzählt bekommen, haben sich zu tief verirrt, als dass sie ihre Irrtümer noch eingestehen wollten?

Es hat auch bei mir lange gedauert, bis ich die Ukraine verstanden habe – wahrscheinlich sogar bis zur Wiederwahl Janukowitschs 2010, als plötzlich wieder ein kälterer Wind im Land wehte. Mit Interesse hatte ich bereits die Orangene Revolution 2004/05 verfolgt, war aber später von den Ergebnissen enttäuscht. Ab 2005 habe ich das Land regelmäßig besucht, anfangs hat man noch zahlreiche Überbleibsel aus der Sowjetzeit leibhaftig erleben können, aber die Ukraine hat sich von Jahr zu Jahr gewandelt, sich dem Westen angenähert, ist schließlich durch den Euromaidan 2013/14 eine authentische und wehrhafte Demokratie geworden, in der es den Menschen – trotz der jahrelang andauernden russischen Aggression – fortschreitend besser ging. Natürlich schäme ich mich ein wenig für meine frühere Uninformiertheit, aber so, wie ich das Land entdeckte, musste es sich teilweise auch selbst erst entdecken: Das allgemeine Nationalbewusstsein in der Ukraine ist heute ein ganz anderes als noch 2004 oder 2012, und daran haben auch die russischen Angriffe ihren Anteil: Sie haben die Ukrainer über alle Altersschichten innerlich zusammengeschweisst. Man sieht ihren gemeinsamen Widerstand dieser Tage in derzeit von Russen besetzten Städten wie Nowa Kachowka, Starobilsk, Cherson und Melitopol, wo sie unter Einsatz ihres Lebens für ihr Land demonstrieren.
Die Ukrainer geben nicht auf. Sie sind ein Volk, das die Freiheit liebt und diese durch den ausdauernden Kampf für sie mehr als verdient hat.

Als ich Lwiw Anfang Januar nach dem Neujahrsfest verließ, habe ich nicht ahnen können, dass ich in die Ukraine, wie ich sie kannte, nie mehr zurückkehren werde. Der gräßliche Krieg hat das Land schon zu sehr verändert, so viele Menschen sind geflüchtet, wurden verletzt, ermordet, so viele Häuser und Orte beschädigt oder zerstört.
Russland führt einen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine, in dem Putin nun vollenden will, was zuletzt Stalin als praktische Aufgabe angesehen hat: Die Auslöschung der ukrainischen Nation. Das muss uns vollkommen klar sein. Der jetzige russische Diktator hat es mehrfach offen ausgesprochen.

Wird irgendwann alles gut, wie es uns das Lied von Okean Elzy verspricht? Man muss es hoffen, auch wenn die Toten nicht wieder lebendig, die Versehrten nicht wieder unversehrt werden; man darf die Hoffnung nicht aufgeben. In den dunklen Tagen des Krieges braucht es diese Hoffnung, braucht es Mut und Solidarität – gerade auch in und von jenen Menschen in der freien Welt, die nicht direkt vom russischen Krieg gegen die Ukraine betroffen sind. Wir können Geld für humanitäre Hilfe und defensive Waffen spenden, Geflüchteten helfen, uns über das Land und die Geschehnisse aus verlässlichen Quellen informieren, andere Menschen aufklären, auf den Straßen protestieren, unsere Politiker unter Druck setzen, dass sie die Ukraine nicht opfern …
Wir freiheitsliebenden Menschen müssen an der Seite der Ukraine bleiben, dürfen sie nicht schon in zwei Wochen wieder vergessen, weil dann vielleicht andere Themen unsere Medien dominieren, oder weil wir müde geworden sind, hinzuschauen, das Hinschauen nicht mehr aushalten.
Wir müssen der Ukraine und den Ukrainern helfen, wo wir nur können.

Wie heisst es im eingangs zitierten Lied weiter?

“Alles wird gut, für jeden von uns. Alles wird gut, unsere Zeit wird kommen”.

Ich weiß, dass das nicht ganz in Erfüllung gehen kann – und versuche trotzdem, daran zu glauben; wie sonst kann man die fürchterlichen Ereignisse ertragen?

Meine Gedanken sind in diesen Tagen bei den Menschen in der Ukraine, deren Gesundheit und Leben in Gefahr ist, sind bei denen, die versuchen, ihr Land gegen den russischen Aggressor zu verteidigen, sind bei all jenen, die sich dafür einsetzen, dass auch dieses Mal das Gute schließlich siegen wird.

Die Ukraine muss und wird gewinnen.
Lang lebe die freie Ukraine!

Veröffentlicht am 07.03.2022

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