Symbole sind als Bedeutungsträger verwendete Zeichen, die für mehr oder
minder komplexe Vorstellungen stehen können. Für sich gesehen sind sie
nicht mächtig, ihre Macht entfaltet sich allein im menschlichen Geist, der
um ihre überlieferte Bedeutung weiss, also worauf sie in ihrer Einfachheit
stehend zeigen. Sicherlich gibt es einige Symbole, die global ohne
vorgelagertes Lernen verstanden werden können, beispielsweise die
piktogrammartige Darstellung eines Wassertropfens, aber der Gebrauch vieler
von ihnen ist auf bestimmte Kulturen oder sogar Gruppen beschränkt, wobei
es natürlich vorkommen kann, dass dasselbe Symbol von verschiedenen Gruppen
verschieden gedeutet wird.
Feststehende Bedeutung
Mich verblüfft die Wirkungsmacht der Symbole immer wieder. Natürlich kann
man sich etwas naiv tuend hinstellen und sagen: «Das ist doch nur ein Zeichen» und sich dann wundern, wenn Mitmenschen darauf scharf reagieren, aber es
ist eben nicht nur ein Zeichen, es sind nicht nur Linien und ein paar
andere Formen, bei bekannteren Symbolen gibt es meist einen
gesellschaftlichen Konsens darüber, wofür ein Symbol steht. Als Individuum
kann man es gern für sich selbst definieren, aber man wird es mit dieser
Privatdefinition recht schwer haben. Erst die verbale Kommunikation über
die Verwendung eines Symbols mit dessen Träger oder Aussteller kann vom
Konsens abweichende Motive erhellen.
M, V, Z – Buchstaben als Symbole
Auch Buchstaben können symbolhaft verwendet werden. Denken wir nur an den
Film «M» – Eine Stadt sucht einen Mörder» (1931) von Fritz Lang, in dem ein
mit Kreide auf einen Jackenrücken gemaltes «M» einen Mörder bezeichnet,
oder die lateinischen Buchstaben «V» und «Z», mit denen die Russen im Jahr
2022 in den Vernichtungskrieg gegen die Ukraine zogen. Da erhielten diese
bis dahin ziemlich unschuldigen lateinischen Buchstaben auf der ganzen Welt
plötzlich eine ganz hässliche Bedeutung, und selbst die Wochenzeitung «Die
Zeit», die gern auch ein «Z» zur Kompaktdarstellung ihrer selbst nutzt,
musste sich fragen, ob sie diese Praxis fortsetzen sollte. Vielleicht hat
«Die Zeit» Glück gehabt: Ihr «Z» ist bis auf seine Mitte schwarz, das für
den russischen Krieg stehende «Z» ist in der Regel weiß.
Effizienz in der Darstellung
Man geht davon aus, dass sich auch die Keilschrift aus Symbolen entwickelt
hat – durch das häufige Kopieren von Tontafeln hat sich offenbar eine immer
effizientere Darstellungsweise durchgesetzt, dabei waren die ursprünglichen
Symbole bereits Abkürzungen.
Die effiziente Darstellung von Vorstellungen, die neben Ideen auch auf
Lebewesen, Gegenstände und Vorgänge zeigen können, scheint der Daseinsgrund
der Symbole zu sein: Ohne viel Aufwand hefte ich mir ein Hakenkreuz, einen
roten Stern, ein weißes «V» oder «Z» an meine Jacke und Du weißt sofort,
was ich für einer bin, was Du von mir zu halten hast – wir brauchen
deswegen gar nicht erst miteinander reden. Ganz so einfach ist es
sicherlich nicht immer. Jemand kann darauf bestehen, dass er ein Symbol
trägt, weil er es ästhetisch ansprechend findet oder schlichtweg Reaktionen
provozieren möchte, ohne für das einstehen zu wollen, wofür das Symbol
gemeinhin steht. Das funktioniert natürlich selten und kann, wie oben
bereits gesagt, nur in einer eher unwahrscheinlich stattfindenden
Unterhaltung aufgedeckt werden. So verwendet beispielsweise die
Neofolk-Gruppe «Death In June» einen leicht abgewandelten SS-Totenkopf in
ihrem Logo, besteht jedoch darauf, dass dies keine Billigung der deutschen
Vernichtungslager darstelle – muss sich aber deswegen seit Jahren immer
wieder erklären.
Rechtliche Ungleichbehandlung
Gerade im 20. Jahrhundert wurden Symbole entwickelt und benutzt, auf die
wir in Europa, sofern wir in dessen demokratischer Mitte stehen, noch immer
heftig reagieren: Das Hakenkreuz, die SS-Runen und ähnliche Zeichen der
Nazis sowie der rote Stern der Kommunisten und Hammer und Sichel der
Sowjets sind die prominentesten Beispiele. In der zweiten Reihe steht dann
vielleicht schon die Staatsfahne der DDR mit ihrem Emblem aus Hammer,
Sichel und Ährenkranz. Die Nazi-Symbole in der Öffentlichkeit zu zeigen,
ist bei uns verboten, die Symbole kommunistischer Gewaltherrschaft dürfen
offen gezeigt werden, und man findet sie auch heute noch leider immer
wieder im Alltag. So gibt es unter anderem in einigen Filialen des
REWE-Supermarktes Dosensuppen zu kaufen, auf die neben debil grinsenden
Jungpionieren die Fahne der DDR gedruckt ist, ein Sportartikel-Hersteller
bietet auf amazon eine Trainingsjacke mit DDR-Schriftzug an, auf der
Endverbrauchermesse «Ostpro» in Berlin im Oktober 2022 wurden unweit der
Memoiren von Egon Krenz kleine DDR-Fahnen («Winkelemente») zum Kauf
angeboten.
Wer schützt die Opfer des Unrechtsstaates DDR vor seinen Symbolen?
Unter der Flagge der Sowjetunion
Weil es in der BRD nicht verboten ist, mit ihr in der Öffentlichkeit
herumzulaufen, kann es sogar vorkommen, dass man der Flagge der Sowjetunion
mitten in Berlin am Brandenburger Tor begegnet. Manche Verirrte halten die
Sowjetunion noch immer für ein «fortschrittliches» Land und schämen sich
nicht, sich mit ihrer Fahne zu schmücken, dabei weiss ja jeder Mensch mit
ein wenig Geschichtsbewusstsein, wofür und wo diese Sowjetfahne steht,
nämlich ziemlich weit oben in der Hitparade der Verbrechen gegen die
Menschlichkeit. Die Sowjetunion hat Millionen Menschen physisch vernichtet,
und wen sie nicht physisch vernichtet hat, dem hat sie auch so unendlich
viel Leid zugefügt, das Leben zur Hölle gemacht – natürlich gibt es einige
wenige einfache und moralarme Gemüter, denen das Leben in der Sowjetunion
trotzdem gefallen hat.
Dieser sowjetische Staat hat versucht, jedes von ihm unabhängige
Geistesleben auszurotten. Wer also mit der Fahne der Sowjetunion
herumläuft, bekennt sich freimütig zu all ihren Verbrechen und sollte sich
bitte nicht wundern, wenn Passanten stark angewidert darauf reagieren.
Symbole des Todes
Ähnlich ist es seit mindestens 2014 mit der Russland-Fahne: Wer es zu einer
Zeit, da Russland Krieg gegen die Ukraine führt, für eine gute Idee hält,
diese öffentlich zu zeigen, macht sich mit allen Verbrechen Russlands
gemein und zeigt so seine menschenverachtende Gesinnung. Die russische
Fahne steht für völkerrechtswidrige Angriffskriege, schlimmste
Kriegsverbrechen, Unterdrückung, Massenmorde, nukleare Drohungen,
Staatsterror – diese Aufzählung ließe sich noch lange fortsetzen. Für mich
macht es daher kaum einen Unterschied, ob jemand mit der Hakenkreuz-,
Sowjet- oder Russlandfahne herumläuft: Das steckt alles in einer ähnlich
üblen Kategorie.
Symbole der Freiheit
Auch die lichte Seite der Menschheit hat ihre Symbole. Ich persönlich denke
dabei dieser Tage natürlich an den ukrainischen Dreizack, den Tryzub, aus
dem man in mancher Darstellung die vier Buchstaben W-O-L-JA herauslesen
kann, was Freiheit heißt – und an die blau-gelbe Fahne der Ukraine, die für
alle Ukrainer und jene, die sich mit ihr verbunden fühlen, steht. Auf
vielen öffentlichen Gebäuden in der ganzen EU weht die Ukraine-Fahne, sie
hängt von zahlreichen privaten Balkonen oder aus Fenstern. Diese Fahnen
sind ein wichtiges Zeichen der Solidarität: Auch wenn wir hier nicht direkt
von den russischen Mord- und Terroraktionen betroffen sind, zeigen wir
damit, dass wir jeden Tag an die Ukraine denken. Mit Ukraine-Pins an der
Jacke, mit blau-gelben Armbändern am Handgelenk usw. können wir den bei uns
lebenden Ukrainern wortlos signalisieren, dass uns ihr Schicksal etwas
angeht, dass wir auf ihrer Seite stehen – und gleichzeitig zeigen wir der
Minderheit, die es tatsächlich mit dem außerhalb der Zivilisation stehenden
Russland hält, dass sie glücklicherweise nur eine traurige Minderheit ist.
Selbstverständlich darf unsere Unterstützung der Ukraine nicht symbolisch
bleiben, wir müssen viel mehr tun, damit sie diesen Krieg gegen Russland
gewinnt. Auch das Anstrahlen des Schweriner Schlosses in den blau-gelben
Fahnen war übrigens ein Symbol, allerdings ein wenig glaubwürdiges. Die
Gazprom-Prinzessin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD),
wollte sich damit anscheinend sehr billig von ihren Russland-Sünden
reinwaschen. Ein sofortiger Rücktritt wäre die ehrlichere Reaktion gewesen
– aber dazu gehört immerhin ein wenig Anstand, und den hat schließlich
nicht jeder, der eine DDR-Sozialisation erfahren hat.
Die ukrainische Fahne mit ihren beiden hellen Farben ist ein stark
leuchtendes Symbol der Freiheit: Viele Menschen geben ihr teures Leben oder
ihre Gesundheit dafür, damit das Leben der (anderen) Ukrainer gesichert und
repariert werden und schließlich weitergehen kann. Schon vor über 100
Jahren hieß es unter dem ukrainischen Rebellenführer Nestor Machno
(1888–1934): «Freiheit oder Tod». Es ist eine Katastrophe, dass dieser
Spruch wieder an Aktualität gewonnen hat – aber das liegt fast allein an
Russland, das Angriffskriege noch immer für ein geeignetes Mittel der
Politik hält, und ein wenig auch an der westlichen Staatengemeinschaft, die
seit 2014 nicht genügend Druck auf Russland ausgeübt hat, damit es diesen
wahnsinnigen Krieg gegen die Ukraine nicht intensiviert.
Um diesen Text noch zu einem hoffnungsvollen Ende zu bringen:
Was gibt es schöneres heutzutage als wenn die ukrainische Fahne in einer
frisch von den russischen Faschisten zurückeroberten Stadt auf einem
Gebäude gehisst wird und sogleich in ungezwungener Fröhlichkeit in der Luft
flattert!
Flattere, flattere nur, Du blau-gelbe Fahne, so fröhlich und frei.