Graffiti ist ein Wort, das mir seit Ewigkeiten Schwierigkeiten bereitet.
Ich bin mir nie ganz sicher, ob es nun zwei “f” oder zwei “t” hat. Die
Buchstaben “f” und “t” sehen sich gemeinerweise auch so ähnlich, der eine
ist ja fast wie der andere - wenn man ihn horizontal spiegelt und noch ein
bißchen vertikal am Querbalken spielt. Das ist auf jeden Fall zu viel für
mein Gehirn, in dem es immer drauf, drüber und oft auch drunter geht.
Graffiti also, mit zwei “f”. Das wäre geschafft. In “geschafft” immerhin
zwei immer sichere “f”.
Es ist sicherlich schon viel darüber geschrieben worden, vermutlich sage
ich hier also gar nichts neues, aber die Frage, warum Graffiti gemacht
werden, hat mich schon lange beschäftigt. In der Welt meiner Kindheit gab
es das nicht, vielleicht mal eine einfache Kreidezeichnung irgendwo an der
Wand, pinsel-geschaffene Farbmalereien kannte man nur aus Filmen - für
echte wäre man direkt in das Gefängnis gekommen (“Der Sozialismus siegt …
nie!”). Nach der Wende gab es dann Spraydosen zu kaufen, die ersten
Jugendlichen ahmten nach, was sie im Westen gesehen hatten. Bei uns in der
Kleinstadt liefen nachts zwei sportliche Typen herum, die mit roter Farbe
in leichter künstlerischer Verfeinerung “SNAP!” an die Wände sprühten. Es
hatte etwas absurdes. Wenig später war die Stadt dann vollgesprüht mit
rechts- und manchmal auch linksradikalen Parolen.
Es gibt sicherlich die unterschiedlichsten Gründe, Graffiti zu machen:
Abenteuerlust, Gemeinschaftsgefühl, Missionseifer, Protest, Kreativitäts-
oder auch Geltungsdrang. Vieles ist denkbar, manches wahrscheinlich. Man
könnte Sprayer nach ihren Gründen befragen, um sich der Frage empirisch zu
nähern. Aber darum geht es mir nicht. Graffiti zu machen ist für mich ein
Akt der symbolischen Eroberung der verstädterten Welt, in der wir alle
leben, in der uns aber nichts gehört und auf die wir auch nur sehr wenig
direkten Einfluss haben. Lässige Schmiererei oder aufwändig gestaltete
Kunst? - auch darum geht es mir nicht. Ein Graffiti macht einen fremden Ort
zum eigenen, vergleichbar vielleicht mit den Markierungen, mit denen ein
Tier sein Revier kennzeichnet. Eine Lebenswelt, in der wir uns wohlfühlen,
muss auch etwas von uns aufnehmen, wir wollen nicht nur wie Wassertropfen
auf einer Fettschicht abperlen, von ihr zurückgewiesen werden. Wenn wir
irgendwo waren, darf auch ein Zeichen von uns zurückbleiben; im Sand sind
es wenigstens unsere flüchtigen Fußabdrücke. Von daher respektiere ich
Graffiti als eine Notwendigkeit städtischen Ohnmachtsdaseins, ob sie mir
nun im einzelnen gefallen oder nicht, Straftat hin oder her.
Ich glaube auch, nur langweilige Menschen lassen alle weißen Tapeten in
ihrer Wohnung ungestaltet. Irgendwo hängt immer ein Bild, Poster, Foto -
eine persönliche Note.