... und mir der Krieg Bukowski vermieste
Kurz vor dem vollumfänglichen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine war
ich fast so weit: Ich hatte mir bereits eine Leseprobe von Charles
Bukowskis «besten» Werken heruntergeladen und mit der Lektüre der ersten
Gedichte begonnen – dann, nach dem russischen Überfall am 24. Februar 2022,
konnte ich mich viele Wochen erst einmal gar nicht mehr richtig auf das
Lesen konzentrieren, weil ich mich nur noch mit dem Krieg beschäftigte und
keine ruhige Minute mehr hatte. Trotzdem rückten drei Dichter in meinen
Fokus – und sie hießen alle nicht Charles Bukowski.
Der erste war Paul Celan. Ich kannte bisher nur die Gedichte, die
eigentlich jeder Deutsche kennt, der sich nur ein wenig mit Lyrik
beschäftigt hat, nun lag mir endlich eine Gesamtausgabe seines
dichterischen Schaffens vor; der Umschlag ist natürlich schwarz gehalten.
Celan wurde in Chernivtsi (Czernowitz) geboren, das heute in der Ukraine
liegt. Der nächste Dichter, den ich zum Anfang des Kriegs las, war der
Ukrainer Bohdan-Ihor Antonytsch, dessen religiös inspirierte «Große
Harmonie» ich erworben hatte. Es ist ein Konzeptwerk und die Gedichte darin
sind von großer seelischer Tiefe und Feinheit, festlich getragen, von
rundem, sakralen Klang und kosmischer Stille. Der dritte und letzte Dichter
war – und das gebe ich hier gern zu – der Russe Sergej Jessenin. Er war
früher einer meiner Lieblingsdichter und ist es wahrscheinlich auch heute
noch. An anderer Stelle habe ich schon darüber geschrieben.
Begegnung und Ablehnung
Nun aber zurück zu Charles Bukowski. In den 1990er und 2000er Jahren war er
für mich eine regelrechte Hassfigur. Irgendwann nach der Wende tauchten
seine Bücher auch in unserem ostdeutschen Kleinstadtbuchladen auf; wenn ich
sagen würde, seine Werke nahmen einen ganzen Meter im Regal ein, würde ich
lügen, aber gefühlt habe ich natürlich nicht Unrecht. Auch in anderen
Buchhandlungen standen seine Bücher, in die ich manchmal verwundert und
immer abgestoßen schaute. In meiner Erinnerung geht es in ihnen um nichts
anderes als Alkohol, Sex und Gewalt, vorgetragen in einer aufgesetzten
Schnoddrigkeit. Nur die deutsche Pop-Literatur, dieses inhaltsarme
Marketingprodukt, von dem man heute glücklicherweise gar nichts mehr hört,
hat mich damals noch mehr angeödet.
Als ich mich um das Jahr 2000 in Literaturforen herumtrieb, merkte ich,
dass es nicht wenige Menschen gab, die sehr von Bukowski angetan waren und
meist recht peinliche Stücke schrieben, in denen sie ihn nachzuahmen, wenn
nicht gar zu übertreffen suchten. Verstanden diese Leute denn nicht, dass
man, um wie Bukowski zu schreiben, ohne dabei lächerlich zu wirken, wie er
leben und sogar er sein musste, dass es also ihm allein vorbehalten war?
Zufällige Begegnung im Film
Warum schreibe ich überhaupt über Bukowski? Natürlich ist es reiner Zufall:
Ich sah vor einigen Monaten den Film «Charles Bukowski in Hamburg» (1978), weil er mir in irgendeinem Streamingdienst unter die Nase gehalten
wurde, ich ihn dann tatsächlich anklickte und vom Anfang bis zum Ende
anschaute. Der Film ist in Schwarz-Weiß. Bukowski sitzt bebrillt an einem
Tisch, an dessen Frontkante einige Mikrofone befestigt sind und auf dem
allerlei Gläser und Flaschen stehen. Der Dichter liest auf Englisch Stücke
von losen Blättern ab, zündet sich eine Zigarette an, setzt seine
auffällige Brille ab und wieder auf, scherzt mit dem vor ihm sitzenden
Publikum, irgendwann trinkt er wahrscheinlich auch, ich erinnere mich nicht
mehr genau, etwas vom bereitstehenden Alkohol. Der Raum jedenfalls ist gut
gefüllt. Natürlich sitzen in ihm lauter kleine Arschlöcher, zumeist junge
Männer, die ihr Idol wie Schulknaben anhimmeln und davon träumen, auch
einmal das große Los zu ziehen, nämlich von ihrer Textproduktion, indem sie
Bukowski nachahmen, leben zu können, oder, wenn sie deutlich bescheidener
sind, überhaupt jemanden zu finden, der sie konsumieren möchte. Es wird,
glaube ich, im Verlauf der Veranstaltung ganz im noch kommunistisch
angehauchten Geist der Zeit auch einmal kurz über Eintrittspreise
diskutiert, doch für ein «Alles für alle und zwar umsonst» ist der 1920 in
Andernach geborene Dichter nicht zu haben. Er besteht auf dem, was er sich
hart und sicherlich auch etwas glücklich erarbeitet hat: Seinen gerechten
Lohn.
Ein paar Worte zu den Inhalten. Wie gesagt, Sex, Alkohol und Gewalt
langweilen mich als literarische Themen, aber irgendwie haben mich die
Texte von Bukowski, die er an diesem Abend vorgetragen hat, doch berührt –
und zwar wegen ihrer sozialen Dimension, der geradlinigen Darstellung
zwischenmenschlicher Begebenheiten und weil sie mich auf leichten Schwingen
in die mir ziemlich fremde Welt des Dichters mitgenommen haben. Im
selbsttätigen Lesen hätten die Texte sicherlich nicht so auf mich gewirkt:
Vortrag, Inszenierung und Charisma des Dichters haben zu meinem
überraschend positiven Eindruck beigetragen. Am Ende seines Vortrags musste
Bukowski auch noch Autogramme geben, was im Film ebenfalls festgehalten
ist. Ein nerviger Rummel, aber so ist es eben, wenn man für sein Publikum
eine Kultfigur ist.
Was aber bleibt nun? Ich habe erst einmal nicht geplant, Bukowski zu lesen,
dafür steht zu viel anderes auf meiner Leseliste, was ich als wesentlich
interessanter erachte, ich bin ja noch nicht einmal mit den alten Griechen
durch; vielleicht lese ich ihn nie, aber ich denke heute viel milder über
ihn als früher – was aber sicherlich auch damit zusammenhängt, dass er
einem mittlerweile kaum mehr begegnet, also höchstens einmal in einem Film
in irgendeiner Mediathek. Wir leben ja in einer schnelllebigen Welt, in der
sich ohnehin kaum noch jemand für Gedichte interessiert – oder
interessierst Du Dich etwas für sie?