Ein Roman von 700 Seiten, so blödsinnig wie das Leben: "Tod auf
Kredit" (1936) heißt er, ist vom bösen Franzosen Louis-Ferdinand
Céline (1894-1961), der war lange Zeit Armenarzt und zeitweilig Antisemit,
Nazikollaborateur usw., eine dauerhaft verkrachte Existenz, die zu
unanständig war zum Schweigen. Da der ganze Roman, dieser Blödsinn,
durchaus absichtlich ein solch letztgenannter geworden ist, fällt er
geradewegs in die Kategorie Kunst, denn der Wille und nicht das Unvermögen
macht ja die Kunst. Céline hat gewollt, hat gekünstelt. Und mit Kunst kann
man sich natürlich irgendwie befassen, über Kunst kann ich hier was
schreiben... nicht viel, aber ein bißchen. Céline hat vor mir schon
geschrieben - selbstredend viel mehr, hat geschrieben über Ferdinands
Kindheit, in etwa Louis-Ferdinand Célines Kindheit, aber nicht wirklich
über diese Kindheit, weil diese Kindheit nur "fast eine Kindheit"
war und im Schreiben sowieso etwas ganz anderes geworden ist, eine in jedem
Moment ausufernde Groteske, eine immer zum Steigen bereite Flut des
Schmutzigen und Hässlichen... Wenig nur wird ausgelassen, was vor 100
Jahren vielleicht noch Anstoß bei den Anständigen erregen konnte. Verkackte
Hintern, frühreife Wichsereien, pubertäre Träume, irrsinnige
Gewaltausbrüche und dergleichen mehr. Wen schockt das heute noch? In den
späten 1940ern immerhin den französischen Marxisten Henri Lefebvre, der
Céline in seinem Werk "Kritik des Alltagslebens" als
niederträchtig einstufte, ihm aber immerhin auch eine gewisse Genialität
zugestand (Lefebvre, Henri: Kritik des Alltagslebens. Frankfurt a.M. 1987.
S. 135.). So viel Kritik des Alltagslebens, wie sie Céline dargestellt hat,
war dem das Gute wollenden Lefebvre wohl ein bißchen zu viel... Ihr fehlt
eben der helle Horizont, der Glaube an ein besseres Leben. Aber den gibt es
nicht, nur Tod auf Kredit - was auch immer das heißen mag. Nichts gutes
jedenfalls. Kinder sind ja immer Opfer der Welt, in die sie hineingeboren
werden. Kindheiten sind Opfergänge. Für den einen geht ein solcher Gang
schlimmer als für den anderen aus; für den Roman-Ferdinand endet er im
Ersten Weltkrieg, aber davon erfährt der Leser erst in "Reise ans Ende
der Nacht". Soldatsein! Das ist mehr als nichts, nämlich überhaupt gar
nichts. Ein Ausgang für Ferdinand, eine kleine Hoffnung - dennoch! Hinter
ihm nur Trümmer, prekäres Dasein, Hunger und gediegener Wahnsinn. Mit den
Eltern nichts als Ärger. Die Schreibmaschine, die Ferdinand dem
Allmächtigen, seinem Vater, über den Kopf gezogen hat, war immerhin ein
Manifest, auch wenn dieser Akt sonst nicht so viel gebracht hat... Gut.
Es war wohl Céline, der an anderer Stelle sinngemäß schrieb: Wenn man jung
ist, weiß man nicht zu leben, wenn man alt ist, kann man es nicht mehr.
Jaja, tjaja, Tod auf Kredit. Eben.