Der Schlafmohn ist eine ganz besondere Blume. Das weiss jeder, der schon
mal vor einem weiten Getreidefeld stand, in dem dieser König der Blumen für
ein paar grelle Tupfer Rot gesorgt hat. Man kann nicht anders, als immer
wieder zu ihnen hinschauen. Schon von weitem schreien sie einen stumm an.
Sie heischen um Aufmerksamkeit und heben sich majestätisch vom sie
umgebenden Grün ab. Die Blütenblätter ähneln einem im Tanz geschwungenen
Flamenco-Kleid, die Schlafmohnkapseln sehen manchmal wie behaarte Hoden
aus. Der Mohn ist eine mystische Pflanze. Umwerfend schön, aber
ausgestattet mit einer sehr abgründigen Seele. Darin ist er ein Verwandter
des Fliegenpilzes.
Der Mohn ist wie einige andere eine vom Menschen unterdrückte Pflanze. In
Deutschland ist nur der Anbau der morphinarmen Sorten „Mieszko“ sowie „Zeno
Morphex” erlaubt. Wenn man einen Menschen auf seine Sexualmerkmale und
-funktionen reduziert, spricht man abschätzig von Sexismus; wenn ein
Gesetzgeber eine Pflanze auf ihre Rauschkraft reduziert und deswegen sogar
verbietet - dafür gibt es kein Wort, zumindest ist mir keines bekannt und
ich bin momentan nicht kreativ genug, um eines zu erfinden.
Ich freue mich immer, wenn ich Mohnpflanzen sehe, hier in Berlin
Lichtenberg findet man sie derzeit häufiger an Zäunen vor Kleingärten,
manchmal kurz dahinter. Hat da ein Mohnrebell heimlich Saat verstreut, war
es gar die Natur, die für sich selbst gesorgt hat, und was für eine Sorte
Mohn ist das überhaupt: Die böse, verbotene, an der man sich berauschen
kann?
Mir ist es gleich. Ich habe nichts gegen den Rausch. Soll man Heroin und
Opium gern für Erwachsene kontrolliert freigeben. Jeder trifft seine Wahl -
und die Wahl der Opium- oder Heroinsucht ist zumindest eine gegen unsere
leidige Leistungsgesellschaft. Sie ist ein Votum für den Müßiggang, den
künstlich erschaffenen Traum, das Dahindämmern auf dem Niveau einer
Pflanze.