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Russisch: Die Sprache des Feindes

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Das russische Alphabet gipfelt im Buchstaben Z – das eigentlich nicht darin enthalten ist

Warum Russisch keine Sprache wie jede andere und warum es wichtig ist, sich ihr zu widersetzen

Als wir vor einigen Jahren aus dem ukrainischen Donaudelta mit einer Marschrutka nach Moldau einreisten, saß vor uns eine dunkel gekleidete Großmutter, die unsere auf Deutsch geführte Unterhaltung neugierig gemacht hatte: Auf Russisch fragte sie uns, woher wir stammen. Ich antwortete ihr ebenfalls auf Russisch, jener Sprache, die ich als Kind der DDR noch in der Schule gelernt hatte.
Die Großmutter war ob des kleinen Austauschs, der sich zwischen uns entsponnen hatte, sehr zufrieden: “Siehst Du, Junge, wenn man Russisch spricht, versteht man Dich überall auf der Welt”. Ich verkniff mir einen belehrenden Kommentar, den ich ja auch nur auf Russisch hätte machen können, um von ihr verstanden zu werden. Natürlich wird man Russisch sprechend mehrheitlich nur in der “Russkij Mir”, der “Russischen Welt”, verstanden, und die ist glücklicherweise deutlich kleiner als die ganze Welt und wie wir alle wissen zudem eine der schlechtesten aller menschenmöglichen Welten, sodass jeglicher Stolz auf alles Russische absolut deplatziert ist.

Notwendige Neubewertungen
Seit dem Beginn des vollumfänglichen russischen Krieges gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 ist vielen im Westen klar geworden, was sie vorher nicht sehen konnten oder wollten: Die wahre Natur der russischen Gegenzivilisation, der auch im 21. Jahrhundert nach gewaltvollen Eroberungen fremder Staaten gelüstet und die dabei kaum ein abscheuliches Verbrechen gegen die Menschlichkeit auslässt. Vieles muss daher von uns im Angesicht des fortgesetzten russischen Imperialismus neu bewertet werden, nicht nur die Klassiker der russischen Literatur, die von diesem Imperialismus durchzogen sind, sondern der Gebrauch der russischen Sprache selbst: Die Entkolonialisierung Russlands ist das verspätete Gebot der Stunde, das unsere Welt zu einer besseren Welt machen wird.

Keine lingua franca
Die russische Sprache ist keine lingua franca im wörtlichen Sinne, sie ist eine lingua servorum: Sie wird und wurde in der Neuzeit in erster Linie überall dort gesprochen, wo russische Gewehre, Kanonen, später Panzer die russische Herrschaft gewaltsam einführten und / oder stützten. Bei uns lernen sie nicht-russisch-stämmige vermutlich hauptsächlich als Akademiker: Slawisten, Politikwissenschaftler, Historiker – und einige vielleicht auch als dunkle Geschäfte treibende. Wer Russisch versteht, kann einfacher verfolgen, was in Russland geschrieben und gesprochen wird, beispielsweise in den menschenverachtenden Propaganda-Fernsehtalks, die wohl selbst einen Goebbels erbleichen lassen würden.
Dieses Verständnis ist nicht immer von Vorteil für das unmittelbare Seelenheil, aber so lange Moskau seine Grenzen in feindlichen Absichten überschreitet, nicht nur mit seiner Armee, sondern auch mit seinen Informationskriegern, müssen wir uns notgedrungen mit diesem bösartigen Terrorstaat auseinandersetzen.

Russisch auf Platz 9
Englisch ist laut einer Statistik aus dem Jahr 2023 nach vor wie die meistgesprochene Sprache der Welt mit 1,456 Milliarden Mutter- und Zweitsprachlern, Russisch belegt mit 255 Millionen Sprachkundigen lediglich den neunten Platz – wobei Russland selbst schon 143 Millionen Einwohner hat, Tendenz sinkend (Prognose für 2050: 133 Millionen). Wer in dieser Welt etwas weltliches bewegen will, wird an Englisch kaum vorbeikommen, Russisch hilft einem eben nur in dieser sogenannten “Russischen Welt”, dem heutigen Russland und seinen ehemaligen Kolonien (Sowjetunion, Warschauer Pakt-Staaten), besonders bei der Kommunikation mit alten Leuten, die kein Englisch können und es in diesem Leben auch nicht mehr lernen werden. Natürlich kann es ein schönes Erlebnis sein, mit diesen alten Leuten ins Gespräch zu kommen, aber in einer besseren Welt würden sie auch das Englische beherrschen und ihr ganzes Leben in Freiheit verbracht haben.

Sprache als Bindfaden
Man kann es bzw. sie drehen, wie man will: Die russische Sprache ist ein Bindfaden, der immer in Moskau endet, denn ohne das russische Imperium (ganz gleich, ob es sich Zarenreich, Sowjetunion oder Russland nennt) wäre sie nie so weit verbreitet worden. Natürlich kann man jetzt einwenden: Und was ist beispielsweise mit den Engländern, Franzosen und Spaniern, die haben ihre Sprachen doch auch als Kolonialherren in die Welt getragen? Das ist richtig, aber ein wesentlicher Unterschied ist hier doch die Zeitform: “haben getragen” (Perfekt). Russland expandiert nach wie vor militärisch: 2008 besetzte es 20% des georgischen Territoriums, 2014 die ukrainische Krim und Teile des Donbas – die neuere Geschichte steht uns allen brennend vor Augen, so dass ich sie nicht gesondert anführen muss. Englisch, Französisch und Spanisch lernen viele bei uns im Westen aus freien Stücken – für ihr Leben.

Russisch auf dem Rückzug
Russisch ist seit den 1990ern auf dem Rückzug, es ist eine unattraktive Sprache einer zutiefst unsympathischen „Kultur“: Nach einer Erhebung von DeStatis im Jahr 2022 lernen nur noch 94.000 Schüler Russisch als Fremdsprache – das ist ein Rückgang von 83% seit 1992, ich würde vermuten, dass die meisten davon in den neuen Bundesländern leben, denn Russisch war in der DDR Pflichtfach und es gab eine entsprechend breit aufgestellte Lehrerschaft. Nach der Wende versuchten viele Russischlehrer, möglichst schnell auf Englisch umzusatteln. Der Englisch-Unterricht, den ich selbst in den frühen 1990ern genoss, hatte deswegen auch eine „besondere“ Qualität …
Der neuerliche Krieg gegen die Ukraine hat Russisch noch einmal unattraktiver gemacht – auf neue Zahlen darf man gespannt sein.

Russisch markiert – russisch gezeichnet
Die russische Sprache ist für Moskau sowohl ein Herrschaftsinstrument als auch -indikator – genau wie die Russifizierung von Toponymen, die Benennung von Straßen und Orten nach Russen, die Verdrängung heimischer Sprachen, wie wir sie beispielsweise in der Sowjetunion gesehen haben. Schauen wir nur einmal ins Baltikum, das im Rahmen des Hitler-Stalin-Paktes von der Sowjetunion besetzt wurde: Vor 1940 machte der Anteil der estnischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung Estlands etwa 90 Prozent aus. In Lettland machten die ethnischen Letten etwa 77 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Infolge der sowjetischen Politik schrumpfte der Anteil der ethnischen Esten bis 1989 auf 62 Prozent (-15 PP), während der Anteil der ethnischen Letten auf 52 Prozent (-25 PP) sank. Gleichzeitig machten die Russen zu diesem Zeitpunkt 28 Prozent der estnischen und 30 Prozent der lettischen Gesamtbevölkerung aus. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion versuchen die baltischen Staaten, mit einer geeigneten Sprachpolitik die Folgen der Russifizierung zu beseitigen, aber es ist ein langwieriger Prozess, da er demokratisch vollzogen wird.

Aktuell sehen wir es in der russisch besetzten Südukraine: Ukrainische Lehrbücher werden dort von den zeitweilig amtierenden Kolonialherren vernichtet, die Kinder in den Schulen zum Lernen der russischen Sprache gezwungen.
Russe ist nach der herrschenden Ideologie, wer Russisch als Muttersprache spricht – und Russisch ist die Sprache derjenigen, die heute einen Domizid, Ökozid und Genozid in der Ukraine begehen. Russisch ist wie damals das Deutsche die Sprache der Täter.

Ich mache trotz meiner offensichtlichen Ablehnung selbstverständlich niemandem Vorschriften, wie er zu sprechen hat. Ich verstehe, dass es gerade für russischsprachige Autoren schwierig ist, in eine andere Sprache zu wechseln, aber es gibt in der Geschichte der Literatur – ohne hier einzelne Personen hervorzuheben – immer wieder Beispiele, bei denen ein solches Unterfangen geglückt ist; aber das ist tatsächlich, so lange Russen noch in der Ukraine morden, ein absolutes Randthema, das ich hier gar nicht vertiefen möchte.

Der Feind kann kein Ukrainisch
Ich halte trotzdem einmal ganz konkret fest: Russisch nicht zu sprechen heißt bereits, das russische Imperium einzudämmen. Natürlich ist das noch kein hinreichender Beitrag, aber doch ein sehr wichtiger. Aus gutem Grund wirbt zum Beispiel die ukrainische Regierung seit Jahren dafür, dass noch mehr Ukrainer lernen, ukrainisch zu sprechen. Im Mai 2023 habe ich in Lwiw ein passendes Plakat zu diesem Entwicklungsbestreben gesehen:
“Sprich Ukrainisch, denn der Feind kann es nicht”.

Russisch – das ist die Sprache des Feindes und es wird die Sprache des Feindes bleiben, solange der russische Staat als Feind der Menschheit wie ein haltloser und vollkommen enthemmter Berserker auf dem Parkett der Geschichte poltert, tobt und Menschen, Menschengeschaffenes, Tiere und allgemein die Natur vernichtet, um seine niedrigsten, seine schändlichsten Interessen, seinen Land- und Machthunger sowie Todeskult, durchzusetzen. Also:

Bitte, sprich kein Russisch, denn es ist die Sprache des Feindes.

Veröffentlicht am 20.06.2023

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