Nicht jede Sprachreform ist nützlich, schön und wird von der Sprachgemeinde
letztendlich angenommen, manchmal schafft sie einfach nur einen Haufen
neuer Probleme, ist hässlich, stört die Kommunikation und stößt bei der
Mehrheit der Leser und Hörer auf große Ablehnung. Wenn man das als
Fürsprecher einer Sprachreform irgendwann selbst erkennt, gehört auch ein
wenig moralische Größe dazu, das seinen Mitmenschen einzugestehen und sein
überspanntes Vorhaben schließlich zum Wohle der Gesellschaft aufzugeben,
selbst wenn man schon eine Weile auf einem Holzweg unterwegs war.
Es hat mich mittlerweile etwas ermüdet, immer wieder von der sogenannten
“geschlechtergerechten” Sprache zu reden und ich sehe ein: Man kann nicht
immer nur kritisieren, nörgeln und verdammen, selbst wenn das in bester und
heilender Absicht geschehen sollte; man muss auch mal etwas neues schaffen
– etwas konstruieren. Deswegen habe ich mir Gedanken gemacht und möchte
meine eigene kleine Sprachreform des Deutschen vorschlagen. Sie soll
selbstverständlich besser werden als das, was wir bisher gesehen haben. Da
man heutzutage aber schon ein bißchen marktschreierisch auftreten muss und
moralische Vorwürfe offenbar ein große Durchschlagskraft haben, verzichte
ich nicht auf Framing und nenne die Erfindung “Ortgerechte Sprache”. Über
Geschlechter und Geschlechtsidentitäten wurde nun ja lange genug
nachgedacht, und nach dem hunderttausendsten Leitfaden zu
“geschlechtergerechter” Sprache fragt sich manch einer in der Branche
sicherlich, womit er morgen seine Brötchen verdienen wird. Die Lösung? –
vielleicht eben die neue “Ortgerechte Sprache”.
Es mag wichtig sein, wer wir sind, aber es ist auch sehr wichtig, wo wir sind. Ich kann generell ganz im Einklang mit mir selbst sein, bin ich
jedoch am falschen Ort, wird es plötzlich ziemlich egal, wer ich bin. Deswegen brauchen die Orte unsere besondere Zuwendung im
Sprachgebrauch. Sollte dieser Schluss momentan etwas schwer
nachzuvollziehen sein, bitte ich vorerst um Nachsicht. Die ortgerechte
Sprache ist ein noch junges Pflänzlein und das weitere wird den kleinen
Argumentationssprung sicherlich etwas aufhellen.
Hier also kurz und knackig ausgeführt, warum wir eine ortgerechte Sprache
“brauchen”:
- Ein Kulturvolk wie das deutsche steht mit nur vier Fällen je Numerus, wovon wir ja auch nur lächerliche zwei haben, nämlich Singular und Plural, etwas beschämt da. Weitere Fälle – das zeigen andere Sprachen eindrucksvoll – sind möglich und geradezu auch nötig, um im Wettbewerb der Nationen zu bestehen.
- Der deutschen Sprache mangelt es eindeutig an einem Lokativ, es ist nämlich schon etwas schäbig, beispielsweise einfach den Dativ für Ortsangaben zu benutzen. Das hat er vermutlich selbst nie so gewollt.
- Hand aufs Herz: Die deutsche Sprache wirkt manchmal wirklich etwas abgestanden. Mit kleinen aber geschickten Innovationen können wir ihr zu mehr Schwung verhelfen.
- Raum (Ort) ist neben der Zeit eine der wichtigsten Dimensionen unseres Lebens. Die deutsche Grammatik darf das nicht länger ignorieren.
- Wenn Du ortgerechte Sprache verwendest, kannst Du anderen nebenbei als besonders gebildet erscheinen.
- Ortgerechte Sprache ist ohnehin der nächste verdammte Trend. Früh dabei zu sein, lohnt sich.
Einige nützliche Beispiele aus dem Alltag:
“Ich gehe zum Pennum.”
”Ich kaufe beim Aldum ein.”
“Im Lidlum gibt es billiges Bier.”
Gerade die Doppelung des ”m” am Ende der Präposition (zum, beim, im) und des Substantivs erzeugt einen starken poetischen Effekt – der genau den Schwung in die Sprache bringt, von dem oben bereits die Rede war. Ist die ortgerechte Sprache nicht eine phantastische Sache?
Aber Vorsicht! Seien wir, obwohl wir jetzt Eingeweihte in ein neues linguistisches Mysterium geworden sind, nicht zu übermütig. Um die Allgemeinheit gerade am Anfang langsam daran zu gewöhnen und es mit der ortgerechten Sprache nicht zu übertreiben, schlage ich vor, sie tatsächlich erst einmal nur ganz behutsam auf Supermärkte und andere Geschäfte anzuwenden; bereits dort kann sie ihre Wunderwirkung tun. “Unverbindliche” Sprachleitfäden können wir später immer noch verfassen, wenn wir Verwaltungen, Bildungseinrichtungen, Unternehmen und Medien erobern.