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© 1999-2024 by Arne-Wigand Baganz

Ukraine  Eine Reise durch die Ukraine in 113 Gedichten  Ukraine

Unmögliche Gedanken

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Seitdem ich neulich mein Alphabet verloren habe, kann ich wieder atmen – so frei, wie seit Jahren schon nicht mehr. Ich hatte bisher davon nur geträumt.

Mein Kopf ist klar, befreit von den Konventionen, die sich der Mensch hat auferlegt als Folge eines langen und schwierigen Prozesses des Denkens. So klar.

Ich vermisse es nicht, alle Wörter verloren zu haben, die sich formten aus Kombinationen der verschiedenen Buchstaben. Mein Kopf ist leer und ich bin frei.

Ich behalte es für mich. Alles. Sollen sie lesen in meinem Gesicht, da stehen keine Worte, sollen sie sehen, wer ich bin, ich sage es ihnen nicht. Ich habe mich losgelöst aus der Welt der konkreten Begriffe, die doch nie zutreffen, da die Welt weit mehr ist. Weit mehr, als ich jemals es auszudrücken in der Lage wäre. Ich behalte es tief in mir. Ohne Worte.

Manchmal denke ich, nicht zu denken sei kein großer Verlust. Mit der Zeit formt sich diese Idee in meinem Kopf und erscheint mir als immer schöner werdendes Ideal, das zu realisieren meine Aufgabe sein sollte.

Ich will nicht mehr denken. Habe schon zu viel gedacht. Zu viele Worte, Wörter, Wirrungen in meinem Kopf. Ein vorgeformtes Labyrinth, was es gilt – zu sprengen.

Wozu ist gut , was schlecht ist ? Zu nichts. Nichts möchte ich sein. Nichts als nichts.

Ich sehe die Welt mit anderen Augen. Weit geöffnet, doch taub für eure Buchstaben, die ihr überall hinterlaßt, wo ihr seid, wart und sein werdet. Mir ist es über, bin übersättigt von euren Buchstaben, euren öden Worten, Werken, euren hohlen Sätzen, die mich haben vergiftet.

Ich bin so krank. Aber nie könnte ich kränker sein als ihr, mit euren Wörtern, die nichts sagen, die leer sind und es auch bleiben. Reden ist vergebens. Schreiben ist vergebens. Lesen erst will ich gar nicht erwähnen, ach, hört auf zu hören auf das Wort!

Glücklich bin ich und frei von dem Ballast der menschlichen Kommunikation.

Ich muß es sprengen, das Labyrinth in meinem Kopf – und aufhören zu denken.

© 1999 by Arne-Wigand Baganz

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